Der Vater des Attentäters (German Edition)
immer noch unser Leben. Ich fühlte mich zugleich schmutzig und ohnmächtig.
Ich befand mich auf einem Weg, dessen Richtung ich genauso wenig ändern konnte, wie ich die Zeit hätte zurückdrehen und noch einmal ganz neu beginnen können. Das wurde mir endlich klar. Ein Mensch war tot, mein Sohn saß im Gefängnis. Der eine Tod zog uns unweigerlich auf den anderen zu, wie ein wilder Strudel.
Was blieb mir anderes übrig, als zu kämpfen?
Zweimal in der Woche rief ich Murray vom Münzfernsprecher auf der Driving Range des Golfplatzes an. Ich stapelte meine Münzen auf der metallenen Ablage und lauschte dem Geräusch, mit dem sie durch den Apparat rutschten. So agierte ich im Verborgenen.
«Ich habe jemanden im Verteidigungsministerium kennengelernt, der uns einen Einblick in Hooplers Akte verschaffen könnte», sagte Murray zum Beispiel, oder: «Mein Detektiv denkt, Hoopler könnte letzte Woche seine Eltern in New Hampshire besucht haben. Er versucht herauszubekommen, unter welchem Decknamen er da war.»
Ich schrieb nicht mehr mit. Ich konnte es mir nicht leisten, Spuren zu hinterlassen. Tatsächlich war alles, worauf es ankam, waren alle relevanten Einzelheiten aus Dannys Leben längst fest in meinem Kopf abgespeichert.
«Ich rufe Sie in zwei Tagen wieder an», sagte ich.
Danach legte ich einen Ball aufs Tee und ging in Position. Ich joggte Anhöhen hinauf und pumpte mit den Armen. Ich ging mit den Kindern Eis essen und zeigte ihnen, wie man den Football warf, damit er perfekt rotierte. Ich mixte starke Martinis für die Nachbarn und stimmte gutmütig mit ein, als sich alle über ihre Frauen beklagten. Ich trennte Flaschen von Dosen. Meine Ruhepuls sank von 102 auf 74. Mein Gesicht war gebräunt und mein Bauch seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder flach. Ich war, nach allem äußeren Anschein, ein Mann in der Blüte seines Lebens. Und doch empfand ich nichts. Ich war die Bandaufnahme einer menschlichen Stimme, lebensecht, aber eine Konserve.
Beim Zusammenpacken der Unterlagen über den Fall meines Sohnes hatte ich ein Dokument zurückbehalten, Daniels psychiatrisches Gutachten, und es in einem Ordner voller alter Steuerklärungen versteckt. Ich hatte es nur einmal gelesen, mitten in einer schlaflosen Nacht, während meine Kinder in ihren Betten lagen. Tags zuvor, am Telefon, hatte ich Danny angefleht, Berufung einzulegen und auf eine Wiederholung des Prozesses zu drängen, doch er sagte nein. Er wolle nur noch seine Ruhe haben. Ich sagte, ich würde persönlich Einspruch einlegen, aber Danny war unerschütterlich. Er antwortete, wenn ich ohne seine Zustimmung Einspruch einlegte, werde er nie wieder mit mir sprechen. Wie konnte ein Sohn so etwas zu seinem Vater sagen? Und vor was für eine schreckliche Wahl er mich damit stellte. Am Ende gab ich nach. Was nützte mir ein lebendiger Sohn, wenn er nicht mit mir redete? Ich sagte mir, dass es bis zur Hinrichtung noch Jahre dauern und ich Danny während dieser Zeit schon dazu bringen würde, selbst Berufung einzulegen. Wir beide würden uns schon wieder annähern.
Wir sind nicht alle auf der Erde, um das Richtige zu tun.
Ich stellte mir meinen Sohn vor, untergewichtig, voller blauer Flecken, wie er einem bärtigen Psychiater gegenübersaß. Er hatte sich gerade eines vorsätzlichen Mordes für schuldig erklärt. Die Anträge für und gegen ein psychiatrisches Gutachten waren über Wochen debattiert worden, was ihm ausreichend Zeit gegeben hatte, sich zu überlegen, wie er sich präsentieren wollte. Er hatte die Möglichkeit gehabt, über sein Verbrechen nachzudenken, und das Gespräch mit dem Gutachter gab ihm die Gelegenheit, sich zu erklären. Und das war es, was er dann vorbrachte: Wir sind nicht alle auf der Erde, um das Richtige zu tun. Was bedeutete das? Glaubte mein Sohn wirklich, es sei sein Schicksal gewesen, einen anderen Menschen umzubringen?
Ich ging in die Knie und versuchte meinen Kopf zu leeren. Der Schläger in meinen Händen fühlte sich an wie ein chirurgisches Instrument, ein Skalpell, das dazu da war, mir die Gedanken aus dem Kopf zu schneiden.
Hitler war ein Ungeheuer, aber dadurch, dass er ein Ungeheuer war, hat er der Welt die Möglichkeit gegeben, enorm viel Gutes zu tun .
Hitler? Wie kam Daniel dazu, den Namen des größten Ungeheuers in der Geschichte der modernen Welt ins Spiel zu bringen? Wollte er als Verteidiger des Holocaust gesehen werden? Als Nazi? Er hatte auch Charles Whitman genannt. Stand da eine Strategie
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