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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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Beharrlichkeit und Ausdauer, die Künstler heutzutage brauchen, um zu bestehen. Wegen dieses Mangels an Disziplin wurde Ellen eine von diesen Kreativen, die endlos auf die richtige Stimmung warten und mit dem ständigen Gefühl von Versagen und Bedeutungslosigkeit zu kämpfen haben. Sie träumte, statt die Dinge in Angriff zu nehmen, und so anziehend ich das zunächst auch fand, machte es mich bald schon verrückt.
    Ich wohnte damals in einem Häuschen in Strandnähe. An den wenigen Vormittagen, an denen ich zu Hause war, joggte ich durch den Sand und ließ mir die Wellen gegen die Beine schlagen. Ellen zog nach zwei Monaten bei mir ein. Das sei die einzige Möglichkeit, mich zu Gesicht zu bekommen, sagte sie. Ich kam gewöhnlich völlig gerädert nach Hause gestolpert, Ellen ließ mir ein Bad ein, brachte mir einen Drink und schaffte mich ins Bett. Diese zärtliche Fürsorge schien ihr Spaß zu machen. Doch ihre Freude daran währte nicht lang. Sie war zu viel mit sich allein, verfolgt von der Vision ihrer depressiven Mutter. Als Einzelkind litt sie unter fast schon krankhaften Einsamkeitsgefühlen. Ich bezweifle, dass unsere Beziehung länger als ein Jahr gedauert hätte, wenn Ellen nicht schwanger geworden wäre.
    Das Taxi fuhr vor dem Cedars-Sinai Hospital vor, es war noch sehr früh, Viertel nach vier. Ich hatte mir diesen Moment während des ganzen Fluges immer wieder ausgemalt. Danny war irgendwo da oben, verschreckt, verwundet. Zwischen uns stand fast unüberwindlich die Macht der Bundesbehörden, außerdem unsere eigene widersprüchliche Geschichte. Würde er sich freuen, mich zu sehen? Erleichtert sein? Oder es als ein weiteres Beispiel dafür sehen, dass sein Vater prinzipiell zu spät kam? Was immer ich in der Vergangenheit für Fehler gemacht hatte, ich wollte sie wiedergutmachen. Mein Sohn würde das alles überstehen. Er würde daran reifen. Erwachsen werden. Es gibt Zeiten, da müssen Männer die Fahne in die Hand nehmen und in die Schlacht ziehen. Jetzt war ich an der Reihe. Je entschiedener die Leute in meinem Sohn einen Verbrecher sahen, desto mehr wurde seine Sache zu meiner. Ihn zu verteidigen war meine Mission.
    Ich blieb vor dem Eingang kurz stehen, um meinen zerknitterten Anzug zurechtzuziehen. Als Arzt wusste ich, dass die Angehörigen von Patienten vom medizinischen Personal oft nicht ernst genommen und zurückgewiesen wurden, und auch angesichts des öffentlichen Interesses an dem Fall schien es mir das Beste, als Dr. Paul Allen aufzutreten, und nicht als Daniels besorgter Vater.
    In der Eingangshalle stand ein junger Mann in einem blauen Anzug auf und steckte ein Foto in seine Tasche.
    «Doktor Allen?», sagte er. «Ich bin David Tolan vom Außenministerium. Unser gemeinsamer Freund schickt mich.»
    Ich nickte und gab ihm die Hand. Dean war ein guter Mensch. Es tat mir leid, dass er sich für mich so weit hinauslehnte. Meine Hände zitterten. Ich hatte keine Ahnung, was ich meinem Sohn sagen sollte. Ich hatte mit unzähligen Patienten in Dutzenden von Krankenhäusern gesprochen und immer die richtigen Worte gefunden, selbst wenn es sich um ein Todesurteil handelte. Aber jetzt? Was konnte ich ihm Tröstliches sagen?
    «Geht es ihm gut?»
    «Das soll Ihnen der Arzt sagen», sagte Tolan. «Jedenfalls ist die Kugel heraus, und er scheint bequem zu liegen. So bequem es eben geht, wenn man an ein Bett gefesselt ist.»
    Wir waren allein im Aufzug.
    «Ich habe Ihren Besuch mit dem Secret Service abgeklärt», sagte Tolan. «Sie betrachten es als einen Gefallen dem Außenministerium gegenüber. Sie haben zehn Minuten mit Ihrem Sohn, nicht länger, und wir möchten Sie bitten, uns über alles in Kenntnis zu setzen, was er über das Attentat sagt. Wobei es mich nicht überraschen würde, wenn Sie es nicht tun. Die eine Bedingung, die an Ihren Besuch geknüpft ist, besteht darin, Stillschweigen zu bewahren. Sollten Sie der Presse gegenüber sagen, dass Sie Ihren Sohn gesehen haben, werden wir das dementieren.»
    Ich nickte. «Ich würde der Frau des Senators gerne mein Beileid aussprechen», sagte ich.
    «Sie wird Ihren Anruf nicht annehmen. Wundern Sie sich nicht, wenn das nach dem heutigen Tag niemand mehr tut. Ihr Name ist ruiniert.»
    Meine Gedanken überschlugen sich. Wie würde Danny aussehen? Was würde er sagen? Ich überdachte Tolans Satz Ihr Name ist ruiniert . Ich musste an Dr. Samuel Mudd denken, den Chirurgen zur Zeit des Bürgerkriegs, der John Wilkes Booths gebrochenes Bein richtete,

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