Der Vater des Attentäters (German Edition)
sagte ich.
«Nun», sagte Dean, «vielleicht nicht ganz so weit. Niemand sollte etwas zu lange mit sich herumtragen.»
Ich hatte noch fünfzehn Minuten, als wir am Flughafen ankamen. Murray setzte mich ab und sagte, er fahre sofort zu uns nach Hause. Er werde meine Familie beschützen, als wäre es seine eigene, und ich sah in seinen Augen, wie er bereits die abrechenbaren Stunden addierte. Um zum Terminal zu gelangen, hatten wir drei Sicherheitssperren passieren müssen. Gleich zweimal hatten sie Murray den Kofferraum öffnen lassen. Einer der Beamten erklärte, das Ministerium für Innere Sicherheit habe die Bedrohungsstufe von Gelb auf Rot angehoben.
«Weil dieser Typ da den Senator erschossen hat.»
Dieser Typ . Die Geschichte hatte längst ihre Form gefunden. Es gab einen Helden und einen Schurken. Wie lange dauerte es noch, bis mein Sohn nicht mehr zu retten war?
Im Terminal selbst herrschte Chaos. Es war ein brodelnder Hexenkessel. Hysterie hatte die Menschen ergriffen, die sich mit wirren Blicken umsahen. Überall waren bewaffnete Wachleute und Soldaten unterwegs. Der moderne Flugverkehr war längst zu einer Metapher für Flüchtlingserlebnisse geworden, und heute herrschte eine besonders unangenehme Stimmung. Wir zogen uns aus, passierten Scanner, und alles, was wir bei uns trugen, wurde akribisch untersucht. Unter dem Blick von Soldaten und Bombenspürhunden fuhren uniformierte Männer mit unbewegten Gesichtern uns mit Sensoren über die Körper. Wir zeigten unsere Reisedokumente vor, unsere Papiere und hofften, dass unsere Namen es nicht auf irgendeine Liste geschafft hatten.
Als Vater des berüchtigtsten Pistolenschützen des Landes wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich erkannt und von den Männern mit weißen Hemden und automatischen Waffen beiseitegezogen und ins finstere Innere der Maschine verfrachtet wurde. Aber bürokratische Systeme sind für ihre Trägheit und mangelnde Abstimmung bekannt. Ich passierte alle Kontrollpunkte in der Erwartung, gleich aus der Reihe geholt zu werden, wurde jedoch kaum einmal mit einem zweiten Blick bedacht. Tatsächlich sollte es Wochen dauern, bis mein Name auf irgendeine Beobachtungsliste geriet, ein Umstand, der mich gleichzeitig erleichterte und skeptisch werden ließ, was die Fähigkeiten unserer Regierung anging, die allgemeine Sicherheit zu gewährleisten.
Ich flog auf direktem Weg nach Los Angeles. Dean hatte mir ein Ticket erster Klasse gebucht. Es gab geröstete Nüsse und ein Kissen für meinen Nacken. Ich versuchte zu schlafen, doch die Gedanken an Danny ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Der Flug wühlte Erinnerungen auf, die ich lange verdrängt hatte. Die Angst und der Kummer waren wieder da, der Schreck und die Schuldgefühle. Daniel war mit acht Jahren beinahe in einem Flugzeug gestorben, auf dem Flug von New York nach Los Angeles. Es war das erste Jahr nach der Scheidung, und er hatte mich über die Weihnachtstage besucht. Wie üblich flog er allein, unter Obhut der vielbeschäftigten Flugbegleiterinnen. Er saß mit einem anderen Kind zusammen, einem Mädchen, das ebenfalls zwischen seinen geschiedenen Eltern hin- und herflog. Jenny Winger. Jenny war vor einem Monat elf geworden. Die beiden saßen in der Mitte des Flugzeugs, Danny auf einem Fensterplatz, Jenny am Gang.
Ich hatte mich oft gefragt, wie mein Sohn diese Flüge wohl empfand, und ich denke, ich hatte sie in meiner Vorstellung romantisiert. Ich sah einen auf sich gestellten Jungen vor mir, der sein Abenteuer genoss. Die Trennung von meiner Frau war ein schmerzhafter Prozess gewesen, und so redete ich mir ein, dass die Flüge meinen Sohn zu einem weltläufigen Reisenden und damit schon früh zu einem reifen Menschen machten. Wenn mich andere Eltern kritisierten, dass ich ihn allein ins Flugzeug setzte, wies ich sie darauf hin, wie viel selbständiger er dadurch wurde als ihre eigene, gehätschelte Brut. Und war das nicht unsere Aufgabe? Mussten wir unsere Kinder nicht möglichst gut darauf vorbereiten, in der Welt zu bestehen?
Dieser besondere Flug war vielleicht sein dritter Flug allein. Falls ihm die Flugabenteuer Angst machten, hatte er es mir jedenfalls nicht gezeigt. Die Maschine startete gegen sechs Uhr abends. Der Himmel über New York war klar, über dem mittleren Westen jedoch brauten sich seit Tagen Unwetter zusammen und überzogen die Gegend mit starken Regenfällen, Hagel und Schnee.
Daniel trank eine Sprite und aß ein paar Tierkekse. Er
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