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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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Fenster und sah zu, wie die niedrig hängenden Wolken durchs Dunkel trieben und den Mond hinter sich verbargen.
    Im Fernsehen sah er Bill, seinen Vater. Sein Dad wirkte alt und abgehärmt. Er war jetzt Rentner, nachdem er zuletzt zehn Jahre in einer Heizkörperfabrik gearbeitet hatte. An seiner Garage hing ein orangefarbenes Schild mit der Aufschrift: «Keine Presse, keine Reporter.» Der Sprecher sagte, Bill McVeigh verbringe den Großteil seiner Zeit im Garten. Die Kamera zeigte sein üppiges grünes Reich hinter dem Haus, wo er Erdbeeren, Spargel, Erbsen, Zwiebeln, Mais, Bohnen und Kohl anbaute. Alles bis auf Blumenkohl, der dort, wie Bill immer sagte, einfach nicht gedeihen wollte.
    Als Bill beim Prozess seines Sohnes im Zeugenstand saß, hatte ihm der Verteidiger ein Foto von ihm und Timothy gezeigt, das 1992 in seiner Küche im Hinterland von New York aufgenommen worden war. Vater und Sohn haben darauf die Arme umeinander gelegt und lächeln glücklich in die Kamera. Der Verteidiger hatte Bill gefragt: «Ist der Tim McVeigh auf diesem Foto der Tim, den Sie kennen und lieben?», und Bill sagte: «Ja, das ist er.» Der Verteidiger fragte weiter: «Lieben Sie Ihren Sohn noch immer?» Bill antwortete: «Ja, ich liebe meinen Sohn.» Und dann fragte McVeighs Verteidiger: «Lieben Sie auch den Tim McVeigh, der hier im Gerichtssaal sitzt?» Und Bill sagte: «Ja.» Die letzte Frage lautete: «Sie möchten, dass er am Leben bleibt?», Bill sagte: «Ja, das möchte ich.»
    Die Geschworenen verurteilten ihn dennoch zum Tode. Sein Verbrechen war zu groß. Was konnte ein Vater auch tun oder sagen, das den Kummer von einhundertachtundsechzig Vätern aufwog?
    McVeigh saß damals mit versteinerter Miene im Gerichtssaal und hörte seinem Vater zu. Er würde stark sein. Er würde nicht weinen, nicht wie tags zuvor, als seine Mutter ausgesagt hatte. Da waren ihm Tränen aus den Augen geronnen, gegen seinen Willen hatten sie sich hinausgestohlen. Das kann man einem jungen Kerl nicht vorwerfen, nicht, wenn die eigene Mutter weinend im Zeugenstand sitzt und sagt, wie sehr sie ihren Sohn liebt und wie viel Angst sie um ihn hat.
    Jetzt, im Fernsehen, sagte sein Vater: «Ich versuche, so zu tun, als wäre es ein Tag wie jeder andere. Ich weiß, was heute geschieht, aber …»
    Während der Gerichtsverhandlung hatte Timothys Anwalt ein Video vorgeführt, das die Verteidigung zusammengeschnitten hatte. Es bestand aus alten Familienfilmen, die der Großvater gedreht hatte. Bill war darin der Erzähler. Man sah Tim als Jungen, sah die Schulen, in die er gegangen war, sah alte Bilder von ihm, das Haar ordentlich gebürstet, in einem Sonntagsanzug, vor der Kirche.
    «Ich glaube, er ging gern in die Schule», sagte sein Vater. «Er war ein guter Schüler, obwohl er nie die Noten bekommen hat, zu denen er fähig gewesen wäre. Meine ich zumindest. Beim Abschluss der Highschool kriegte er einen Preis dafür, dass er nicht einen einzigen Tag gefehlt hatte. In vier Jahren hatte er nicht einen Schultag verpasst. Während des Abschlussjahrs, denke ich, hatte er zum ersten Mal gejobbt, bei Burger King. Nach der Highschool hat er dann ein Fünfhundert-Dollar-Stipendium vom New York State gekriegt. Damit ist er zu Bryan & Stratton, das ist eine Wirtschaftsschule, aber er hatte das Gefühl, da nichts zu lernen, was er nicht schon wusste, und so ist er wieder arbeiten gegangen. Er bekam einen Job bei Burger King in Lockport. Ich weiß es nicht mehr genau, aber er hat vielleicht ein Jahr für Burger King gearbeitet, dann ist er zu einem Sicherheitsdienst gewechselt, wo er einen Geldtransporter fuhr. Den Job hat er wegen seinem Waffenschein gekriegt. Bei der Abschlussfeier der Highschool hatte Tim mir erzählt, dass etliche von den Jungs zum Militär gingen. Und eines Tages verkündete er, er wolle ebenfalls zum Militär, und als ich fragte, wann, sagte er nur: ‹Morgen.› Das ist alles, was ich Ihnen dazu sagen kann, wie er zum Militär gegangen ist, oder dann rüber zum Persischen Golf. Es schien ihm nichts auszumachen, er war bereit, als es so weit war, und sie sind nach Kuwait. Ich glaube, das war so Ende ’91, Weihnachten ’91 oder so. Und als er zurückkam, schien er ganz glücklich.»
    McVeigh stand am Fenster und beobachtete die Wolken. Er hatte keine zwölf Stunden mehr zu leben. Der Sprecher im Fernsehen sagte, McVeighs Mutter habe seit dem Anschlag drei Nervenzusammenbrüche gehabt. Das war Timothy unangenehm. In seinem Magen rührte sich

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