Der Vater des Attentäters (German Edition)
Priester gab ihm das Sakrament der letzten Ölung. Erst danach wurden die Vorhänge geöffnet und die Gesichter der Zeugen sichtbar. Es war auch eine Kamera installiert, so dass nicht anwesende Angehörige die Hinrichtung auf Video mitverfolgen konnten. McVeigh hob den Kopf und sah ins Objektiv. Starr hielt er den Blick auf das runde Glas gerichtet. Die Angehörigen im Vorführraum hatten das Gefühl, McVeigh sehe ihnen tief in die Seele hinein.
Bill war nicht gekommen. Er brachte es nicht über sich, seinen Sohn sterben zu sehen. Das war nicht der Junge, an den er sich erinnerte, der magere Kerl, der immer zu laut gelacht hatte. Der schüchterne Junge, der nicht wusste, was er zu Mädchen sagen sollte. Im letzten Monat hatte Timothy sich geweigert, ihn bei ihrem Besuch zu umarmen. In seinen Augen war es, als wäre er bereits tot.
Timothy McVeigh wurde gefragt, ob er noch ein paar letzte Worte zu sagen hätte. Er wollte sich aufsetzen, aber die Riemen saßen zu fest. Er zitierte den englischen Dichter William Ernest Henley und sagte: «Ich bin der Herr meines Schicksals. Ich bin der Kapitän meiner Seele.»
Nebenan trat der Scharfrichter an seine Maschine. Er drückte einen Knopf und drehte einen Schlüssel. Drei Chemikalien wurden injiziert, erst Sodium Pentothal, das den Todeskandidaten einschlafen lässt, dann Pancuroniumbromid, das die Atmung stoppt, und schließlich Kaliumchlorid, das einen Herzstillstand hervorruft.
Erfolgt die Injektion nicht richtig oder in falscher Dosis, bleibt der Gefangene wach, während das Pancuroniumbromid in seine Adern fließt. Er ist dann gelähmt, fühlt aber ein schreckliches Brennen. Ging es McVeigh so? Führte er den Todeskampf seiner Opfer, spürte er die Explosion von Flammen, die ihn bei lebendigem Leib auffraßen? Oder fiel er friedlich in einen trunkenen Schlaf? Niemand kann es sagen. Sicher ist nur, dass seine Haut und seine Lippen blasser wurden, als die Chemikalien ab 7.10 Uhr über den Katheder in sein rechtes Bein liefen. Wenige Minuten später, sagten Zeugen, habe McVeigh ein paar zuckende Bewegungen gemacht.
Um 7.14 Uhr örtlicher Zeit wurde er offiziell für tot erklärt.
Es war Murrays Idee, nach Royce Hall zu fahren. Ich hatte Angst davor gehabt, Angst vor der Macht dieses historischen, bedeutungsschweren Ortes. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Nach dem Besuch bei Carlos Peña herrschte eine unbehagliche Stimmung in unserem Wagen, es war ein Gefühl der Beschmutzung, als wäre der Wahnsinn eine ansteckende Krankheit, die man sich wie eine Erkältung durch ein Niesen einfangen könnte. Ich dachte darüber nach, was Peña gesagt hatte. Das mit dem Abfinden. War das tatsächlich der Schlüssel? Würde ich erst wieder glücklich sein können, wenn ich akzeptierte, dass mein Sohn einen anderen Menschen getötet hatte? Aber was interessierte überhaupt mein eigenes Glück, wenn mein Sohn in einer Gefängniszelle saß? Wenn es bald einen Prozess gab, in dem es um sein Leben ging? Als sein Vater würde ich mein Glück mit Freuden opfern, wenn er dafür am Leben blieb.
Wir fuhren über den Sunset Boulevard durch West Hollywood, überquerten den La Cienega Boulevard und kamen nach Beverly Hills.
«Ich rufe meinen Mann beim FBI an», sagte Murray. «Die sollen sich diesen Carlos noch mal ansehen. Ein Steakmesser im Sofa … Bei dem Burschen wird einem ja ganz anders.»
Ich sah die Palmen über unser Schiebedach hinwegziehen. «Ich habe viel über andere Attentate gelesen. Auf Lincoln, McKinley, Kennedy.»
«Welchen Kennedy?», sagte Murray.
«Beide. Neben meinem Bett liegt ein ganzer Stapel Bücher, das dauert Monate, bis ich die gelesen habe. Ich weiß auch nicht, warum ich das tue … Was können die schon helfen?»
«Sie sind schließlich Arzt», sagte Murray. «Das sind Fallstudien. Ich als Anwalt suche nach Präzedenzfällen. Ich erinnere mich an eine Auseinandersetzung mit meiner Ex, weil ich spät nach Hause kam und nach Stripperinnen roch. Dabei war es genau das, was ihr an mir gefallen hatte, als wir uns kennenlernten. Meine Geilheit. Ich stand also in der Küche, mir flogen nur so die Töpfe um die Ohren, und ich hielt meine Plädoyers, als gäbe es einen Richter, der ihre Einwände zurückweisen und die Stripperinnen irgendwie in unsere Ehe integrieren könnte. Wir können eben nicht anders, unser Beruf prägt unsere Persönlichkeit.»
Wir kamen am Beverly Hills Hotel vorbei. Die Sonne war wieder herausgekommen und spannte einen
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