Der Vater des Attentäters (German Edition)
Murray, «dass die alles beherrschende Stimmung die Verzweiflung ist. Das Gefühl, dass andere genau das bekommen, was eigentlich du verdienst.»
Ich sah an den Fenstern hoch. Das Haus sah fast aus wie ein Motel. An die Geländer der einzelnen Wohnungszugänge waren Fahrräder gekettet. Der Aufzug war außer Betrieb, also nahmen wir die Treppe.
Murray schnaufte, als wir im dritten Stock ankamen. «Die Anstrengung stell ich Ihnen in Rechnung», sagte er. Murray versuchte durchs Fenster zu sehen, aber die Jalousie war heruntergelassen. Er klopfte.
Die Tür öffnete sich sofort, was uns überraschte. Carlos Peña stand da, die rechte Hand hinter der Tür verborgen. Er war dünn und hatte ein pockennarbiges Gesicht. «Sind Sie Bullen?», fragte er.
«Ich bin Anwalt», sagte Murray. «Und er ist Arzt.»
Carlos zögerte, trat schließlich ein Stück zurück und ließ uns herein. «Sorry wegen dem Durcheinander», sagte er. «Meine Freundin zerschlägt immer gleich alles, wenn wir streiten.»
Das Wohnzimmer war ein Schlachtfeld. Der Teppich war mit Glasscherben übersät, der Kaffeetisch zertrümmert. Aus dem Sofa ragte etwas, das aussah wie der Griff eines Steakmessers.
«Sind Sie wirklich Arzt?», fragte Carlos.
Ich nickte, und er zog sich das Hemd hoch. «Ich habe hier so einen Ausschlag», sagte er. Die Haut um seine linke Hüfte war geschwollen und rot.
«Sieht wie eine Abschürfung aus», meinte ich.
Er überlegte. «Ach ja», sagte er und schien sich zu erinnern. «Halb so wild.»
Er wischte ein paar Teller und Zeitschriften vom Sofa und bedeutete uns mit einer Geste, wir sollten uns setzen. Der Griff des Steakmessers war nur etwa zehn Zentimeter von meiner linken Schulter entfernt. Sollte Carlos uns angreifen, konnte ich es herausziehen, um uns zu verteidigen.
Murray verbrachte eine Weile damit, die Falten aus seiner Hose zu streichen. «Mein Mandant hier», sagte er, «ist Daniel Allens Vater.»
Carlos sah mich an. «Wer ist das?»
«Er ist auch als Carter Allen Cash bekannt.»
Carlos lächelte. «Das ist doch der Mörder des Senators.»
«Mutmaßlich», sagte Murray. «Der mutmaßliche Mörder.»
«Wir haben gehört», sagte ich, «dass Sie zur Zeit des Attentats in Royce Hall waren.»
Carlos stand unvermittelt auf und verschwand im Nebenzimmer. Murray und ich sahen einander an. Was sollen wir tun? Ich formte die Worte mit den Lippen. Er zuckte mit den Schultern. Ich langte nach dem Griff des Messers. Er fühlte sich klebrig an. In dem Moment kam Carlos mit einer Schachtel wieder, und ich zog schnell die Hand zurück.
Carlos setzte sich auf einen ausgeweideten Fernsehsessel, die Schachtel auf dem Schoß. «Mein Bruder hatte einen Kolostomiebeutel», sagte er.
Weder Murray noch mir fiel etwas ein, was wir darauf hätten erwidern können.
«Er ist in Falludscha auf eine Landmine getreten. Seine Beine hat man retten können, aber sein Gedärm war völlig hin.» Er stellte die Schachtel auf den Tisch vor uns. «Die Ärzte hielten es für möglich, dass er wieder normal aufs Klo gehen konnte. Nach einiger Zeit vielleicht, und ein paar Operationen. Sie haben ihm Hoffnung gemacht, und so hat er sich jeden neuen Tag, den er mit dem Beutel leben musste, einfach nur elend gefühlt. Er träumte davon, sich wieder wie ein normaler Mensch aufs Klo hocken zu können, sich wieder so wunderbar leerscheißen zu können, dass man sich fühlt wie nach ’ner Kreuzfahrt. Und er wurde operiert und therapiert, und nichts funktionierte. Zwei Jahre später hat er immer noch in den Beutel geschissen, und am Ende nimmt er sich eine Kanone und bläst sich das Hirn raus. Meine Mom kommt nach Hause, und das ganze Wohnzimmer ist vollgespritzt. Wir haben ihn verbrennen lassen und die Asche in eine Schachtel getan.» Er beugte sich vor und klopfte auf die Schachtel vor sich. «Jeden Tag hole ich das Ding hervor und sehe es an», sagte er. «Und wissen Sie, was ich dabei denke?»
Murray schüttelte den Kopf, ich ebenfalls.
«Sich mit was abzufinden, ist der Schlüssel zum Glück», sagte Carlos. «Wenn die Ärzte meinem Bruder gesagt hätten, dass er für den Rest seines Lebens in einen Beutel scheißen müsste, hätte er sich damit abgefunden. Er hätte einen Weg gefunden, um glücklich zu werden. Aber sie haben ihm Hoffnung gemacht, haben ihm ein besseres Leben versprochen, und so hat er jeden Tag des Lebens gehasst, das er hatte.»
Er sah mich an. Sein Gesicht war so schlicht wie eine Pizza Peperoni. «Verstehen Sie,
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