Der Vater des Attentäters (German Edition)
hatte ausdrücklich darum gebeten, ihm ging es weniger um das Eis als um die Streusel. Es war der 9. Juni 2001. Am Morgen war er aus seiner Sechs-Quadratmeter-Zelle im Bundesgefängnis von Terre Haute, Indiana, in das etwa einhundertfünfzig Meter entfernte rote Ziegelhaus gebracht worden. Es war ein Ort, an den nur wenige Häftlinge kamen. Ein Ort ohne Wiederkehr. Um 5.10 Uhr in der Frühe stand McVeigh nackt in seiner Zelle. Die Wachen hatten ihn die Hoden anheben lassen. Sie hatten ihm befohlen, sich vorzubeugen und die Hinterbacken zu spreizen. Das war durchaus normal. Im Gefängnis sehen einem ständig uniformierte Männer in den After.
Im roten Ziegelhaus kam McVeigh in Isolationshaft. Er würde seinen letzten Tag in dieser winzigen, schäbigen Zelle verbringen, die sich dreißig Meter vom Hinrichtungsraum befand, einem großen, leeren Raum mit dem letzten Bett, auf dem McVeigh je liegen würde. Um 13 Uhr brachten ihm die Wachen sein letztes Essen. Er aß den Liter Eiscreme ohne eine Pause. Was machte es schon, wenn ihm später schlecht wurde? Da würde er sterben. Eine Wache beobachtete ihn durch ein Loch in der Tür. McVeigh saß auf seiner Pritsche und sah fern. Am letzten Tag seines Lebens hatte er vom Gefängnisdirektor die Erlaubnis erhalten, durch die Kabelkanäle zu zappen. McVeigh war süchtig nach Nachrichtenkanälen. Er sah CNN . Er sah MSNBC . Er sah sein eigenes Gesicht, das ihm aus dem Bildschirm entgegenblickte. Er verfolgte, wie er sechs Jahre früher in einem orangefarbenen Overall das Gerichtsgebäude verließ. Künstlich gebräunte Nachrichtenmoderatoren verkündeten, McVeigh werde am nächsten Morgen um 8 Uhr New Yorker Zeit hingerichtet werden. Sie baten Experten um eine abschließenden Beurteilung des Falls. Sie sprachen mit Angehörigen der Opfer, Müttern von Kindern, die in jener Kindertagesstätte gestorben waren, in Stücke gerissen von der Fünftausend-Pfund-Bombe in dem Mietlastwagen, der draußen vor der Tür geparkt hatte.
Diese Leute verstanden es einfach nicht. Niemand verstand es. Hier ging es um einen Krieg, und er war darin Soldat. McVeigh schüttete den Rest der Schokostreusel in die Schüssel und leckte den Löffel ab. Er war in Lockport, New York, aufgewachsen und katholisch erzogen worden, allerdings war der Gott, an den er im ersten Golfkrieg an der 25-mm-Kanone eines Bradley-Schützenpanzers glauben gelernt hatte, ein Gott der Macht und der Gewalt.
Im Fernsehen zeigten sie Filmmaterial von der Belagerung in Waco. War das wirklich schon acht Jahre her? Die Kommentatoren sagten, mit Waco habe es für McVeigh angefangen. Da sei der Same gesät worden, der Same der Auflehnung. McVeigh in seiner Zelle erinnerte sich, wie er 1993 die ersten Berichte im Fernsehen verfolgt hatte. Wie ganze Familien in einem Gebäudekomplex von der Bundesregierung belagert, wie Frauen und Kinder mit Tränengas bekämpft wurden. In diesem Moment hatte er einen Krieg kommen sehen, Nachbar gegen Nachbar, Individuum gegen Staat. McVeigh fuhr nach Waco, verkaufte dort Protestaufkleber aus dem Kofferraum seines Wagens und vergünstigte Exemplare der rassistischen Turner-Tagebücher von William Pierce. Die Belagerung dauerte einundfünfzig Tage, dann schlug die Regierung zu und setzte das Anwesen in Brand. Wer sich aus den Flammen zu retten versuchte, wurde erschossen. Frauen und Kinder krümmten sich in Todesqualen.
Er fuhr von einer Gun Show zur nächsten, kaufte und verkaufte. Zusammen mit Motorradrockern, Ranchern und anderen entschlossenen Freiheitskämpfern nahm er an Schießübungen in der Wüste teil. Sie schickten Panzerfäuste ins Nichts. «Hier sind wir richtig», sagte er den Leuten und zeigte ihnen ein Exemplar von Pierces Roman über den kommenden Rassenkrieg. Er schoss mit automatischen Waffen, schoss auf Ziele in mittlerer Entfernung und biss die Zähne gegen den Rückstoß zusammen. Aber die Geschosse waren ihm zu klein. Ein Gewehr war ein mageres Statement. Eine Bombe dagegen, eine Bombe war ein Aufschrei.
Er nahm Kontakt zu einem alten Army-Kumpel auf, Terry Nichols. Die beiden hockten in Kneipen und redeten darüber, wie sich der Kampf bis vor die Tür der Regierung tragen ließe. Sie redeten von der Endzeit, und wie sie die ganze Scheiße in die Luft sprengen würden. Sie wollten den Ausdruck auf Clintons Gesicht sehen.
Acht Jahre später lag McVeigh auf der Pritsche der Todeszelle. Zum ersten Mal seit Jahren konnte er den Nachthimmel sehen. Er lag unter einem winzigen
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