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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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etwas. Eine aufkommende Übelkeit. Vielleicht war es das Eis, vielleicht der Gedanke an die Nadel in seinem Arm. Als im Fernseher Bilder seiner Mutter erschienen, blass und mit traurigem Gesicht, das Haar nur mehr schütter, musste er den Blick abwenden.
    Die Todeszelle hatte braune Wände. Es gab ein Bett, ein Waschbecken und eine Toilette. McVeighs Anwalt hatte ihn gegen drei Uhr besucht. Sie hatten über ein Gnadengesuch in letzter Minute gesprochen, aber beide ohne jede Hoffnung.
    Am 14. August 1997 hatte McVeigh eine letzte Erklärung abgegeben, bevor der Richter ihn zum Tode verurteilte. «Mit Erlaubnis des Gerichts würde ich gerne die Worte von Richter Brandeis für mich sprechen lassen, mit denen er sich gegen Olmstead wandte. Er schrieb: ‹Unsere Regierung ist der mächtige, allgegenwärtige Lehrer. Im Guten wie im Schlechten gibt sie dem ganzen Volk ein Beispiel.›»
    McVeigh hielt inne. «Das ist alles», sagte er.
    Während im Hintergrund CNN lief, schrieb McVeigh ein paar Briefe. Er nannte seinen Anschlag eine «legitime Taktik» im Krieg gegen eine unterdrückerische Regierung. Er schrieb, «es tut mir leid, dass Menschen gestorben sind, aber das liegt in der Natur der Sache.»
    In einem Interview mit dem Time magazine hatte er nach seiner Verhaftung gesagt: «Ich denke nicht, dass sich meine Person auf einen einfachen Nenner bringen lässt und ich in eine der Schubladen passe, in die mich so viele Leute stecken wollen. Sie versuchen das mit psychologischen Gutachten, mit Graphologie und so weiter, aber das alles ist eine ziemliche Pseudo-Wissenschaft, die mich einfach nur zum Lachen bringt. Ich bin wie jeder andere auch. Ich mag Action- und Abenteuerfilme, Komödien, Science-Fiction-Filme und gute Shows. Ich kann mich mit eigentlich jedem unterhalten. Das große Missverständnis ist, dass ich ein Einzelgänger sein soll. Klar, ich brauche meinen eigenen Raum und bin manchmal gern für mich, aber das heißt absolut nicht, dass ich ein Einzelgänger bin oder was die Presse gern ‹introvertiert› nennt. Das ist ein komplettes Missverständnis. Frauen, Geselligkeit … Ich mag Frauen [er kichert]. Ich denke nicht, dass das irgendwie außergewöhnlich ist.»
    Wieder tauchte sein Vater auf dem Bildschirm auf. Dieses Mal saß Bill mit einem anderen Mann zusammen, weißhaarig, mit Brille und einem sanften Gesicht. Timothy McVeigh wusste, der Mann war Bud Welch, der Vater von Julie Marie Welch, einer dreiundzwanzigjährigen Frau, die bei dem Anschlag umgekommen war. Seit dem Prozess hatten Bill und Bud zu einer merkwürdigen Freundschaft gefunden. Sie waren eine Totenkopf-Münze, auf der einen Seite der Vater eines Mörders, auf der anderen der Vater seines Opfers.
    Im Fernsehen sagte Bud: «In den Monaten nach Julies Tod war ich einer von vielen, die sich an demjenigen rächen wollten, der mir meine Tochter genommen hatte. Ich griff zu Alkohol und Zigaretten, um den Schmerz zu lindern, und war wütend auf Gott, dass er diese schreckliche Sache zugelassen hatte. Aber dann begann ich Julies Stimme zu hören, und ich erinnerte mich, wie sie mir vor Jahren, als sie selbst noch ein Kind gewesen war, gesagt hatte, sie denke, Hinrichtungen würden Kinder nur Hass lehren.
    Ich wusste, was für eine schreckliche Last es ist, ein Kind zu verlieren, und ich begann zu begreifen, dass Tim McVeighs Vater Bill bald den gleichen Schmerz empfinden würde, wenn die Regierung seinen Sohn hinrichtete. Also habe ich Bill und seiner Tochter Jennifer die Hand gereicht, und diese Begegnung hat mich in meiner Überzeugung bestärkt, dass wir in diesem Land keine Todesstrafe brauchen.
    Meine Überzeugung ist einfach: Julie hätte sicher nicht noch mehr Gewalt gewollt. Mehr Gewalt wird sie mir nicht zurückbringen. Mehr Gewalt macht die Gesellschaft nur noch gewalttätiger.»
    Um 6.45 Uhr kamen die Wachen und begannen mit den letzten Vorbereitungen. Timothy McVeigh wurde ein weiteres Mal durchsucht, dann wurden ihm Handschellen angelegt. Er warf einen letzten Blick auf den Mond, trat auf den Korridor und ging das kurze Stück zum Hinrichtungszimmer, ohne dass man ihn hätte zwingen müssen. Dort wurden ihm die Handschellen wieder abgenommen. Er blickte sich nach den Zeugen um, aber die Vorhänge waren zugezogen. Es war ihm wichtig, dass sie zusahen, sie sollten sehen, dass er keine Angst hatte. Dass er nicht als Verlierer, sondern als Märtyrer starb.
    Er wurde auf die Bahre geschnallt und mit einem grauen Tuch zugedeckt. Ein

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