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Der Vater des Attentäters (German Edition)

Der Vater des Attentäters (German Edition)

Titel: Der Vater des Attentäters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Hawley
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Scharfschütze bei einem Sondereinsatzkommando gewesen war, einen weiteren Kriegsheimkehrer, in dessen Militärakte wir keinen Einblick bekamen und der vom Erdboden verschluckt zu sein schien, und meinen Sohn, einen Collegeabbrecher, der nie durch gewalttätiges Verhalten auffällig geworden war.
    Wenn ich diese Fakten auf ein Stück Papier schrieb, wollten sie einfach nicht zusammenpassen. Es war wie bei einem Patienten, der in die Notaufnahme gehumpelt kommt: Die erste Untersuchung fördert eine klaffende Wunde in der Wade zutage, die mit siebzehn Stichen genäht werden muss, aber statt die Wunde zu versorgen, diagnostiziert der diensthabende Arzt das Problem als ein neurologisches. Wenn ich mir Cobbs Autopsiefotos und die Antwortbriefe der Armee ansah, in denen sie uns die Einsicht in Hooplers Militärakte verweigerten, konnte ich nicht anders, als die Wahrheit wie eine Wunde zu betrachten, die niemand zur Kenntnis nehmen wollte.
    Mein Sohn hatte einen Mord gestanden, und dafür gab es drei mögliche Erklärungen. Die erste war, dass er tatsächlich schuldig war: Dass er aus eigenem freien Willen eine Pistole in das Gebäude von Royce Hall geschmuggelt, sich ein paar Meter vor die Bühne gestellt und zwei Kugeln auf einen anderen Menschen geschossen hatte. Die zweite Möglichkeit war, dass er Seagram im Rahmen einer größeren Verschwörung erschossen hatte, in die auch Cobb und Hoopler verwickelt waren. Und die dritte, von der ich zugeben musste, dass sie weit weniger wahrscheinlich war, bestand darin, dass er als reiner Sündenbock fungierte, dass er dabeigestanden hatte und Cobb oder Hoopler geschossen und ihm nach den Schüssen die Waffe irgendwie in die Hand gedrückt hatte.
    Wenn ich also für den Augenblick die dritte Möglichkeit einmal ausschloss, war die Frage entweder (1): Wie konnte es passieren, dass mein Sohn in eine Verschwörung zur Ermordung von Senator Seagram verwickelt wurde?, oder (2): Warum hatte er aus eigenem freien Willen den Abzug betätigt, ein einsamer Schütze in der Menge, der seiner Verstörung mit einer Waffe Ausdruck gab?
    Am 6. November, drei Tage, nachdem Daniels Schuldbekenntnis offiziell anerkannt wurde, gewannen die Republikaner die Präsidentschaftswahl mit einer knappen, aber entscheidenden Mehrheit. Seagrams Tod hatte eine Leerstelle in der demokratischen Führung hinterlassen, die zwar ein Dutzend Kandidaten umgehend aufzufüllen versucht hatten, ihr einziger Erfolg bestand jedoch darin, die Landschaft mit Flyern und Plakaten zuzumüllen, während die Republikaner das Attentat zum willkommenen Anlass nahmen, nach härteren Anti-Terrorismus-Gesetzen zu verlangen. Sie stellten sich als die Partei dar, die sich von nichts daran hindern lassen würde, das Land zu schützen, und wenn sie auch nicht gerade einen Erdrutschsieg einfuhren, so bekamen sie doch genug Wählerstimmen, um ihren Sieg verkünden zu können.
    Zwei Wochen später, am 17. November, nach einer kurzen Beratungsphase, wurde mein Sohn Daniel Allen zum Tode verurteilt. Seine Mutter und ich hatten zu seinen Gunsten ausgesagt und im Zeugenstand um sein Leben gebettelt. Es war ein unbeschreiblicher Moment. Wir hatten alles in unserer Macht Stehende getan, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass Danny ein warmherziger, rücksichtsvoller Mensch war. Wir hatten ihnen Bilder gezeigt und Anekdoten erzählt, hatten unsere schönsten Erinnerungen mit ihnen geteilt und ihnen unsere von Liebe und Kummer kranken Herzen geöffnet. Ellen weinte so sehr, dass das Gericht ihre Vernehmung dreimal unterbrechen musste, damit sie ihre Aussage beenden konnte. Es gibt keine Worte, um die Gefühle wiederzugeben, die man als Vater oder Mutter empfindet, wenn man um das Leben seines Kindes fleht. Keine Worte, um die unbewegten Gesichter der Geschworenen zu beschreiben und den kalten, verurteilenden Blick des Staatsanwalts. Keine Worte für meine Empfindungen, als der Richter sein Urteil verkündete und dem Publikum im Gerichtssaal und den Menschen im ganzen Land sagte, dass er den Tod meines Sohnes anordne. Es war eine tiefe, alles verschlingende Schwärze. Eine andere Form des Todes. Mehr will ich darüber nicht sagen.
    Am nächsten Tag wurde Daniel ins einzige Hochsicherheitsgefängnis des Bundes in Florence, Colorado, überführt, bekannt als das ADX Florence oder ADMAX . Dort war er täglich dreiundzwanzig Stunden in Isolierhaft, in einer zwei Mal dreieinhalb Meter großen Zelle, hinter einer Stahltür mit einem kleinen

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