Der Vater des Attentäters (German Edition)
Gitterfenster. Das Mobiliar war aus Gießbeton, der Tisch, der Stuhl, das Bett. An der Wand gab es eine Toilette, die ihre Funktion aussetzte, sobald sie verstopfte, eine Dusche mit Zeitschalter, um eine mögliche Überschwemmung zu verhindern, und ein Waschbecken ohne Siphon. Einige Gefangene hatten Spiegel aus poliertem Stahl, die in der Wand verankert waren, mein Sohn nicht. Radio oder Fernsehen waren untersagt, stattdessen gab es nur ein breites, gerade mal zwölf Zentimeter hohes Fenster, durch das er nichts als den Himmel sehen konnte. So wurde verhindert, dass er sich ein Bild davon machen konnte, wo im Gesamtkomplex des Gefängnisses er sich befand. Jedwede Kommunikation mit der Außenwelt war strengstens verboten. Die einzige Stunde, die er jeden Tag aus seiner Zelle gelassen wurde, verbrachte er in einem gesicherten Hof, unter den Augen bewaffneter Wachmänner.
Das ADMAX war 1994 am Rand von Florence in Betrieb genommen worden. Es lag zwei Stunden nördlich der Grenze zu New Mexico, zwei Stunden südlich von Denver, bedeckte eine Fläche von gut neunzigtausend Quadratmetern und verfügte über vierhundertneunzig Betten. Seine Insassen galten als die Schlimmsten der Schlimmsten. Es waren Terroristen, Vergewaltiger, Mörder. Viele hatten Mitgefangene in anderen Vollzugsanstalten getötet, andere Gefängnispersonal, oder es zumindest versucht. Viele waren international bekannt, wie mein Sohn. Theodore Kaczynski, der Una-Bomber, saß im ADMAX ein, Terry Nichols, der Bombenleger von Oklahoma City, Zacarias Moussaoui, der mutmaßliche «zwanzigste Entführer» von 9/11, und der «Schuhbomber» Richard Colvin Reid. Nicht zu vergessen sind auch Andrew Faston, der ehemalige Finanzvorstand von Enron, und Robert Hanssen, der wohl berühmteste Doppelagent des FBI . Es war ein Gefängnis voller legendärer Männer, und die Welt glaubte, dass mein Sohn die Art Kreatur war, die mit dazugehörte, ein Zyklop, ein Minotaurus, ein Ungeheuer von mythischen Ausmaßen.
In den Monaten nach dem Urteil hatte ich meine Nachforschungen nur noch heimlich fortgeführt. Daniels Verhaftung und Prozess hatten unser Leben verschlungen. Meine Familie war erschöpft, die Geduld meiner Frau am Ende. Daniel habe gestanden, sagte mir Fran in aller Klarheit. Wir müssten endlich ein neues Kapitel aufschlagen. Und so fuhr ich zwei Wochen nach dem Urteil los und kaufte zwei Dutzend große Kartons. Unter den Augen der Kinder entfernte ich jegliche Spur meiner Nachforschungen aus unserem Leben. Im letzten Jahr hatte ich eine umfassende Sammlung von Attentäter-Biographien zusammengetragen, über Oswald, Both, Burr und all die anderen, und ihre Lebensgeschichten aus jedem möglichen Blickwinkel betrachtet. Die Bücher waren voller Eselsohren, einzelne Sätze und Abschnitte hatte ich unterstrichen, die Ränder mit zahllosen Anmerkungen versehen.
Dazu hatte ich ganze Stapel Informationsmaterial über die Orte angehäuft, an denen mein Sohn gewesen war, mit geographischen Daten, Klimatafeln und allem, was mit seinem Verbrechen zusammenhängen konnte oder mir sonst irgendwie von Bedeutung zu sein schien. Innerhalb von zehn Minuten konnte ich eine Liste mit den Bürgermeistern von Iowa City hervorzaubern, bis zurück zur Gründung der Stadt. Ich besaß eine farbig hinterlegte Karte des kalifornischen Schienennetzes, dazu die Fahrpläne und Angaben zu stillgelegten Strecken. Mein Aktenschrank war voller Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Computerausdrucke, Blogs und Telefonprotokolle. Es gab darin Grundrisse von Royce Hall und Listen mit Waffenläden im Großraum Los Angeles. Basierend auf den Zeugenlisten hatte ich die Daten von mehr als zweihundert Personen gesammelt, die am Tag des Attentats auf Senator Seagram in Royce Hall gewesen waren, mit Bildern, Lebensläufen und Angaben zu den von ihnen besuchten Schulen.
Ich schaffte das Material weg, doch ich war unfähig, tatsächlich ein neues Kapitel aufzuschlagen. Daniels Fall war für mich eine Obsession, eine Sucht geblieben, die ich vor den Menschen um mich herum verstecken musste wie ein Drogenabhängiger oder ein Spielsüchtiger, und so schichtete ich denn auch die Unterlagen zu Hoopler und Cobb in eine Aktenkiste, Geburtsurkunden und Dokumente über ihre Militärzeit und ihren beruflichen Werdegang.
Ich nahm gewissermaßen den Fall und verstaute ihn in Kisten und Kartons. Meine Familie sah dabei zu, wie ich alles in den Wagen trug. Ich behauptete, ich würde den ganzen Krempel zur Müllkippe
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