Der Vater des Attentäters (German Edition)
zu gewöhnen. Die Jungen gingen in die staatliche Schule und stiegen morgens in einen hellgelben Bus, die Schultaschen voller übergroßer Geometrie- und Geschichtsbücher. Ich fuhr drei Tage in der Woche mit einem gebrauchten Jeep Cherokee eine Stunde nach Norden zur medizinischen Fakultät der University of Colorado in Denver, wo ich eine Stelle als Gastprofessor angenommen hatte. Trotz meiner neuen, traurigen Berühmtheit hatte der Dekan der Fakultät die Gelegenheit ergriffen, mich an die Universität zu holen. Wir kamen überein, dass ich zunächst nur Teilzeit arbeiten würde, das Ziel war jedoch, mich bis zum Ende des Jahres zum Vollzeit-Professor und Leiter der Abteilung für Rheumatologie zu machen.
Die Fahrt zur Uni brachte mich aus der rostfarbenen Ebene Süd-Colorados durch die Ausläufer der Rocky Mountains in das versmogte Tal, in dem Denver lag. Es war meine erste wirkliche Erfahrung mit der leeren Weite der westlichen Staaten. So viel ungenutztes Land zu haben, so weit das Auge reichte, nur mit Gestrüpp und Gras bedecktes Hügelland, kam mir fast kriminell vor. Jeden Tag dachte ich an die Millionen hungernder Menschen, die sich in den Städten der dritten Welt drängten. Wir hatten mehr Raum in diesem Land, als wir je benötigen würden, tiefe Schluchten und unglaubliche Gebirgszüge, fern abgelegenes fruchtbares, an Flüssen gelegenes Land und ausgetrocknete Vulkanseen. Ich war die engen, vollen Highways des Ostens gewohnt, auf denen man innerhalb von acht Stunden von New York nach Maine fahren konnte und dabei durch vier Staaten kam. Hier, in der riesigen Weite des Westens, brachten einen acht Stunden nicht einmal quer durch einen einzigen Staat.
Fran schien der Umzug von uns allen am wenigsten auszumachen. Sie arbeitete auch weiter als virtuelle Assistentin, da gab es keinerlei Bruch. Schließlich war sie für ihre Kunden vor allem eine Stimme am Telefon, eine E-Mail-Adresse. Da war es egal, ob sie in Connecticut oder Kalkutta saß.
Wir waren auf den Tag genau zwei Monate, nachdem Danny in Los Angeles zum Tode verurteilt worden war, nach Colorado Springs gezogen. In den Wochen zuvor hatten seine Anwälte dafür gekämpft, sein Schuldbekenntnis widerrufen zu können. Sie hatten Anträge gestellt, plädiert und waren bis zum Obersten Gerichtshof gegangen, doch am Ende ließen sich die Richter zu nichts bewegen.
Es änderte für sie nichts, dass Frederick Cobb, der ehemalige Scharfschütze eines Sondereinsatzkommandos, nur wenige Wochen nach dem Attentat kaltblütig ermordet worden war (bei seiner Autopsie wurden sechzehn Stichwunden gezählt), nachdem man ihn einen Monat vor dem Attentat zusammen mit meinem Sohn in einem Frachtzug aufgegriffen und verhaftet hatte. Cobbs letzter Tag war nur sehr lückenhaft zu rekonstruieren. Es konnte sein, dass er in einem 7-Eleven in Glendale ein Lotterielos gekauft hatte, und mit Sicherheit hatte er irgendwann am frühen Abend bei McDonald’s ein Happy Meal gegessen. Sein Magen war noch voll von halb verdauten Pommes frites. Etwa um zehn Uhr abends befand sich Cobb dann im Graben unter einer Straßenüberführung, wo wiederholt auf ihn eingestochen wurde. Bei dem Versuch, sich zu verteidigen, hatte er sich auch Verletzungen an seinen Händen zugezogen. Die Polizei verbuchte die ganze Sache schnell als einen zufälligen Mord, womöglich in Verbindung mit Drogen. Niemand gab sich Mühe, den Fall aufzuklären, trotz des beträchtlichen Drucks, den Daniels Verteidiger ausübten. Für die Polizei war Cobb einer von vielen ehemaligen Soldaten, die nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg nicht mehr Fuß fassen konnten.
Murray und ich hatten alles, was wir wussten, zu jeder nur erdenklichen Zeitung und Zeitschrift getragen, aber abgesehen von einem kleinen Artikel in The Sacramento Bee über Cobbs «zufällige Verbindung» mit Daniel reagierte die Presse nicht.
Marvin Hoopler, der andere Exsoldat aus dem Zug, erwies sich als unauffindbar. Nachdem er zusammen mit Daniel und Cobb im Mai verhaftet worden war, schien er spurlos verschwunden zu sein. Seine Vergangenheit war ebenso schwer zu ergründen. Die Regierung wies mehrere Anträge, Einsicht in Hooplers Militärakte nehmen zu dürfen, zurück, da sie als streng geheim gelte. Ich bewahrte die Antwortbriefe in einem Ordner auf. Kein Detail war mir zu klein, kein Gedanke zu absurd, um katalogisiert zu werden. Ein Präsidentschaftskandidat war ermordet worden, wir hatten einen toten Afghanistan-Rückkehrer, der
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