Der Vater des Attentäters (German Edition)
seiner Schneidemaschine über den Kopf fuhr, sah zu, wie mein Hundert-Dollar-Salon-Schnitt in Büscheln zu Boden fiel. Mit ihm fiel auch meine Identität. Als ich danach in den Spiegel blickte, war von dem wohlhabenden New Yorker Arzt, der Führungsfigur, die ich einmal gewesen war, nichts mehr zu erkennen. An seiner Stelle sah ich einen asketischen, einen verletzlichen, entblößten Mann. Das verbliebene Haar war weitgehend grau, die Falten um meine Augen hatten sich vertieft, und meine Gesichtszüge begannen zu hängen. Es war bestürzend zu sehen, wie der schwerste Schlag meines Lebens mich hatte altern lassen. Doch ich blickte der nackten Wahrheit ins Gesicht. Und genau die brauchte ich im Moment. Es schien mir wichtig zu verstehen, wo ich stand.
Ich hatte ein übertriebenes Selbstbewusstsein besessen, war im Grunde selbstgefällig gewesen, und deshalb hatte ich meine Macht und meinen Einfluss in der Welt völlig überschätzt. Der Mann, der mich da jetzt aus dem Spiegel ansah, wirkte alles andere als selbstgefällig. Eher verängstigt. Er war fünfzig Jahre alt und hatte in seinem Leben eine plötzliche, tiefgreifende Umwälzung erfahren.
Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
Und so wurden die Allens sieben Monate, nachdem in einem übervollen kalifornischen Theatersaal zwei Schüsse erschallt waren, zu einer naturliebenden Familie, die in Colorado Fuß zu fassen versuchte und sich nach einem Neuanfang sehnte. In der Woche unserer Ankunft feierten Alex und Wally ihren elften Geburtstag, und Fran und ich kauften ihnen Snowboards, in der Hoffnung, dass sie ihnen bei der Eingewöhnung helfen würden. In unserer Vorstellung wurden unsere Söhne zu Bergfexen, zu sonnengebräunten kleinen Sportskanonen, die mit den Fingerspitzen durch das weiße Pulver strichen, während sie in weiten Bögen die Hänge hinunterfuhren. Colorado sollte die Rückkehr zu einem Leben in Unschuld sein, gesund und sorglos.
Kinder. Meine Söhne sollten wieder Kinder sein dürfen.
Der Tag nach ihrem Geburtstag war der erste Tag an ihrer neuen Schule. Abgesehen von ein paar Anfangsschwierigkeiten fügten sie sich schnell in die neue Gemeinschaft. Ich denke, die Rückkehr zur Normalität tat ihnen gut. Es war eine Erleichterung für sie, sich wieder mit Hausaufgaben und den Vorbereitungen für anstehende Prüfungen beschäftigen zu müssen. Ihnen gefiel der einfache, verbindende Charakter des Fußballtrainings und der Testspiele für die Little League. Sie fanden Freunde, und Wally verliebte sich gleich in ein mexikanisch-amerikanisches Mädchen zwei Klassen über ihm, was ihm den unvermeidlichen Kummer unerwiderter Liebe bescherte.
Fran war voller Aktivität, machte sich mit den Nachbarn bekannt, erkundete die großen Einkaufsmärkte und plante für die Wochenenden Erkundungsausflüge in die Rockies und hinunter nach Santa Fe und Albuquerque. Daneben besuchten wir ihre Familie, Tanten, Onkel und Cousins, die uns trotz des offensichtlichen Makels, der uns anhaftete, mit offenen Armen aufnahmen. Das Ganze war, wenn man so wollte, unser ganz privates Zeugenschutzprogramm. Neuen Bekannten gegenüber verhielten wir uns freundlich, aber zurückhaltend. Man traf sich zu Barbecues oder Spieleabenden, in der Schule oder auf Wohltätigkeitsbasaren.
Ich verlor kein Wort über meine erste Ehe, schweifte ab, wenn es darum ging, woher wir genau kamen, und sagte nur, wir hätten schon überall an der Ostküste gewohnt. Wir taten einfach so, als ob unsere Familie nur aus uns vieren bestünde. Die Fahrten zum ADMAX unternahmen wir in aller Heimlichkeit, wir standen noch vor dem Morgengrauen auf und stiegen in den Jeep. Auf Nachfrage behaupteten wir, dass wir die ersten Frühlingstage ausnutzten, um unsere neue Heimat zu erkunden. In Wahrheit stahlen wir uns gut sechzig Kilometer nach Süden. Meist schweigend, manchmal mit Classic Rock aus dem Radio, fuhren wir durch die immer trostloser werdende Landschaft. Daniel war unser schwerwiegendes Geheimnis, das schwarze Schaf, das wir in unseren Herzen trugen.
Wortlos ließen wir die Gefängnisrituale über uns ergehen, die Metalldetektoren und ständigen Sicherheitsüberprüfungen, den Warteraum voller Männer, Frauen und Kinder aller Hautfarben. Wir ertrugen die abschätzigen Blicke der Wärter, die uns klarmachten, dass wir die Verantwortlichen für die Verbrechen unserer Angehörigen seien. Und wenn wir nicht selbst schuld waren, so waren wir zumindest durch sie kontaminiert. Ihre Blicke besagten, dass
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