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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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schaute nach links und sah die gewaltigen hölzernen Wassertore, die man einst geöffnet hatte, um die Boote mit den zitternden, des Hochverrats angeklagten Gefangenen einzulassen. An solche Dinge verschwendete er allerdings keine Gedanken, obwohl er sie schon unzählige Male in aller Ausführlichkeit irgendwelchen Touristen erzählt hatte, die sich wiederum einzig für Foltermethoden, Exekutionen und den Weg zum Klo interessierten. Achtlos passierte er den Bloody Tower mit seinen roten Kletterrosen, die vor dem Mord an den beiden kleinen Prinzen schneeweiß geblüht haben sollen, und ignorierte auch das flackernde Kerzenlicht hinter einem der Turmfenster, wo der Geist von Sir Walter Raleigh, der dreizehn Jahre hier eingesperrt gewesen war, am Schreibtisch saß und an seinem Federkiel kaute.
    Er stieg die Steintreppe hinauf und erreichte die Zinnen. Unter ihm floss die Themse, in der sich der Eisbär Heinrichs III. einst sein Abendessen gefischt hatte. Balthazar Jones aber blickte mit seinen blassblauen Augen in die Höhe und versuchte zu ergründen, aus welcher Richtung der kostbare Regen kommen würde. Während er seine Berechnungen anstellte, rieb er sich mit den Fingerspitzen über den Bart und sah, dass am Himmel bereits der Morgen dämmerte.
    Hebe Jones konnte nicht wieder einschlafen, nachdem sie davon geweckt worden war, wie ihr Mann das Zimmer verließ. Sie nieste zweimal und wunderte sich über den Staub auf ihrem Kissen. Dann drehte sie sich auf den Rücken und zog eine feuchte Strähne aus dem Mundwinkel. Statt prächtig über die Schultern zu wallen, wie es das in der Blüte ihrer Jugend getan hatte, hing ihr Haar jetzt einfach träge nach unten. Vereinzelt entdeckte sie eine Strähne, die bei bestimmten Lichtverhältnissen wie ein silbriger Fisch hervorleuchtete, ansonsten war ihr Haar auch mit fünfundfünfzig noch so glänzend schwarz wie damals, als sie Balthazar Jones begegnet war. Er führte diese Laune der Natur auf die Sturheit seiner Frau zurück.
    Während sie in der Dunkelheit lag, stellte sie sich vor, wie ihr Ehemann im Schlafanzug durch den Tower lief, eine ägyptische Parfümflasche in der Hand, die sie schon lange nicht mehr zärtlich berührte. Sie hatte alles getan, um ihn von seinem Zwang zu befreien. Anfangs hatte sie ihn abgefangen, bevor er die Schlafzimmertür erreicht hatte. Dann aber hatte er seine Technik verbessert, und schon bald war er bereits die halbe Treppe hinunter, bevor er die acht Worte hörte, vor denen ihm graute, weil sie mit dem unerbittlichen Tonfall seiner Mutter ausgesprochen wurden: Und was glaubst du, was du da tust? Die hohe Kunst des Verschwindens zeitigte dennoch einige spektakuläre Erfolge.
    Hebe Jones begann, die Fluchtanleitungen zu studieren, die sich ihr Mann in der Stadtbücherei besorgt hatte. Bevor sie die Leselampen ausschalteten, schloss sie die Schlafzimmertür ab und versteckte, während ihr Mann im Bad mit den einsamen Leiden der Verstopfung kämpfte, den Schlüssel. Der Schuss ging allerdings nach hinten los, weil sie sich eines Morgens nicht mehr daran erinnern konnte, wo sie den Schlüssel hingelegt hatte. Sie verschluckte sich fast an ihren demütigenden Erklärungen, als sie ihn darum bat, ihr bei der Suche zu helfen. Er nahm den losen Stein aus der Wand neben einem der Gitterfenster, fand aber nur die pikanten Briefe, die er ihr in der Anfangsphase ihrer Beziehung geschrieben hatte. Als Nächstes ging er zum Kamin, tastete mit der Hand auf der großen Steinhaube herum und holte eine alte Bonbondose herunter, in welcher er ein Paar Manschettenknöpfe mit seinen Initialen in einem höchst eleganten Schriftzug entdeckte. Seine Frau gestand, dass er sie vor vier Jahren zu Weihnachten hätte bekommen sollen, dass sie sie aber nie wiedergefunden hatte. Ihre Freude darüber, dass die Manschettenknöpfe endlich wiederaufgetaucht waren, und Balthazar Jones’ Entzücken über das unerwartete Geschenk lenkten sie von ihrer unangenehmen Situation ab. Bald schon ging die Suche aber weiter, bis Balthazar Jones plötzlich in der Nachttischschublade seiner Frau etwas fand, das zweifelsfrei ein Sexspielzeug war. »Wozu um alles in der Welt soll das denn gut sein?«, fragte er und drückte auf einen Knopf. Wieder war die unangenehme Situation für vierunddreißig Minuten vergessen. Fragen wurden gestellt, und die Antworten provozierten weitere Fragen, die wiederum in einer ganzen Reihe von wechselseitigen Anschuldigungen mündeten.
    Mehr als eine Stunde

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