Der verborgene Charme der Schildkröte
passt?«, fragte der Kaplan.
»Es passt mir, seit Sie letzte Woche zugesagt haben, es zu tun.«
Der Kaplan folgte ihm zur Hausnummer sieben an den Grünanlagen des Towers und hoffte, dass die Vorsitzende der Richard-III.-Rehabilitierungsgesellschaft ihm auflauern würde. Die Bank vor dem White Tower war aber leer. Der Yeoman Gaoler öffnete die Tür und machte Platz, um ihn eintreten zu lassen. Sofort stürmte der Kaplan durch den Flur und rief über die Schulter: »Wollen wir nicht erst eine schöne Tasse Tee trinken, bevor wir anfangen? Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
Der Yeoman Gaoler holte ihn ein und versperrte ihm den Weg zum Wasserkessel. »Ich würde die Sache lieber sofort erledigen, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, erwiderte er.
Jetzt entdeckte Rev. Septimus Drew den Käfig auf dem Tisch. »Was ist das denn da?«, fragte er.
»Die Etruskerspitzmaus der Königin.«
»Lassen Sie mal sehen.«
Der Yeoman Gaoler nahm den Käfig und stellte ihn hinter sich auf den Küchentresen. »Tut mir leid, sie ist ein wenig nervös. Das Wohnzimmer ist da hinten«, sagte er und ging voran.
Der Geistliche folgte ihm und trat sofort zu der Tudor-Axt mit dem langen Griff, die bei bestimmten Zeremonien getragen wurde und nun in der Ecke lehnte. »Die haben Ihre Vorgänger benutzt, wenn sie Gefangene zu den Gerichtsverhandlungen in Westminster gebracht haben, nicht wahr?«, fragte der Kaplan und studierte die Waffe gründlich. »Gehe ich recht in der Annahme, dass der Gefangene, wenn die Schneide auf ihn gerichtet wurde, soeben zum Tode verurteilt worden war?«
»Sollten Sie nicht ein wenig Weihwasser verspritzen oder so?«, fragte der Yeoman Gaoler.
»Ganz richtig, ganz richtig«, antwortete der Geistliche und betastete auf der Suche nach dem Weihwassergefäß die Taschen seiner Soutane. Dann senkte er den Kopf, betete ein schnelles Gebet und schritt durch den Raum, um den Inhalt zu versprenkeln.
»Das hätten wir«, erklärte er dann mit einem Lächeln. »Geschafft!«
Der Yeoman Gaoler schaute ihn verblüfft an. »Ist das alles? Müssen Sie ihn nicht bitten zu verschwinden oder so?«
Der Kaplan schlug die Hand vor den Mund. »Muss ich das?«
Die beiden Männer sahen sich an.
»Nein, nein, das war im letzten Jahrhundert so«, erklärte der Geistliche und winkte ab. »Okay also, ich geh dann wohl mal«, fügte er hinzu und schritt auf die Haustür zu.
Als der Yeoman Gaoler den Geistlichen mit wehender Soutane durch die Grünanlagen des Towers zurückeilen sah, spürte er das Unbehagen eines Menschen, den man hintergangen hat. Er kehrte in die Küche zurück, öffnete den Käfig und hielt der Etruskerspitzmaus eine Heuschrecke hin, die sie mit ihrer samtigen Nase beschnupperte.
Auf dem Küchentisch hatte Hebe Jones eine Nachricht von Valerie Jennings gefunden, dass sie früher zur Arbeit gegangen sei, um ein paar Dinge zu regeln. Nun saß sie am Tisch, aß eine Schüssel Special K, weil sie in den Schränken ihrer Gastgeberin nichts Gehaltvolleres gefunden hatte, schaute sich in der immer noch fremden Umgebung um und fragte sich, wie lange sie wohl bleiben sollte. Valerie Jennings hatte erklärt, dass sie im Gästezimmer wohnen könne, solange sie wolle, aber sie mochte die Gastfreundschaft auch nicht überstrapazieren. Als sie ihre Schüssel abwusch, beschloss sie, an das Geld zu gehen, das sie für Milos Studium gespart hatten. Bis der Mietvertrag mit den Mietern ihres Hauses in Catford abgelaufen sein würde, müsste sie sich eben eine Wohnung nehmen.
Als sie im Fundbüro eintraf, hatte sie den Eindruck, dass es nach frischer Farbe roch, nahm jedoch an, der Geruch komme durchs offene Fenster, und vergaß es schnell wieder. Dann ging sie sich einen Tee machen. Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, betrachtete sie den Safe, den sie wieder geschlossen hatten, damit sich das Reinigungspersonal nicht mit dem Inhalt aus dem Staub machte. Blieb nur zu hoffen, dass sich ihre Kollegin die Zahlenkombination gemerkt hatte.
»Hast du alles gefunden, was du fürs Frühstück brauchst?«, fragte Valerie Jennings, die nun aus Richtung der Bücherregale auftauchte.
»Ja, danke«, antwortete Hebe und schaute auf. Sofort fiel ihr wieder ein, dass sich ihre Kollegin mit Arthur Catnip zum Mittagessen treffen würde. Ganz offensichtlich hatte sie ihren gesamten Kleiderschrank nach etwas Vorteilhaftem durchforstet, um dann lediglich ein vollkommen zeitloses Kleid zutage zu fördern. Auch ihr Haar hatte sie zu
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