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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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für ihn an der Zeit zu gehen, und so stand er auf und heftete im Hinausgehen einen Zettel an die Pinnwand, dass sich derjenige, der ein Herrenwams verloren hatte, im Salt Tower melden solle.
    Gefasst auf die nächste Gardinenpredigt, schlich er durch die Water Lane zu seiner Verabredung mit dem Chief Yeoman Warder und hoffte, dass ihn ein Tourist anhalten und eine Frage stellen würde. Ausnahmsweise einmal schienen aber alle den Weg zum Klo zu kennen. Leise, damit es niemand hören würde, klopfte er an die Bürotür, aber es erklang sofort eine Stimme, die ihn hereinbat. Balthazar Jones trat ein und sah den Chief Yeoman Warder, der soeben vom Mittagessen daheim zurückgekommen war, hinter seinem Schreibtisch sitzen.
    »Yeoman Warder Jones, nehmen Sie Platz«, sagte er und zeigte auf den Stuhl ihm gegenüber. Der Beefeater nahm seinen Hut ab, legte ihn auf seinen Schoß und hielt sich an der Krempe fest.
    Der Chief Yeoman Warder beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Wie stehen die Dinge?«, fragte er.
    »Gut«, antwortete der Beefeater neutral.
    »Großartig. Ich dachte, es interessiert Sie vielleicht, dass der Palast sich gemeldet hat. Sie sind sehr zufrieden damit, wie sich die Menagerie entwickelt. Im Vergleich zum letzten Jahr sind die Besucherzahlen deutlich gestiegen, und das Presseecho im In- und Ausland war größtenteils positiv.«
    Der Beefeater schwieg.
    Der Chief Yeoman Warder nahm nun einen Stift und rollte ihn zwischen seinen Fingern hin und her. »Natürlich gab es diese unglückseligen Fotos von Ihnen und den Weißkopf-Büschelaffen, aber es besteht die Hoffnung, dass die Zeitungen sie nicht mehr verwenden, da wir ihnen gestattet haben, die Tiere im Tower zu fotografieren. Wie kam es übrigens dazu, wenn ich fragen darf?«
    Der Beefeater schluckte. »Sie stellen sich zur Schau, wenn sie sich bedroht fühlen«, sagte er.
    »Aha.«
    Eine Pause trat ein.
    Der Chief Yeoman Warder schaute auf seine Mappe hinab. »Nun«, fuhr er fort. »Es hat ein paar Beschwerden gegeben. Und obwohl mir nur allzu klar ist, dass die Menschen nie zufriedener sind, als wenn sie sich über irgendetwas beklagen können, müssen wir sie ernst nehmen. Die erste betrifft die Pinguine. Wann kommen sie vom Tierarzt zurück?«
    Balthazar Jones kratzte sich am Kopf. »Sie können jeden Tag eintreffen«, antwortete er.
    »Gut. Je eher, desto besser«, sagte er und klopfte mit dem Stift auf den Tisch. »Mir gefällt der Anblick des leeren Beckens nicht. Das sieht so aus, als wären sie entlaufen, wie dieses Bartschwein aus dem Londoner Zoo. Alles Amateure dort. Okay, die zweite Beschwerde kommt von den Tower-Bewohnern und betrifft den Wanderalbatros. Ganz offensichtlich können einige der Yeoman Warder nicht mehr schlafen, weil er ständig rumheult, was dann die anderen Vögel in Fahrt bringt, worauf wiederum die Brüllaffen loslegen.« Er lehnte sich zurück und stützte die Ellbogen auf die Armlehnen. »Ich persönlich würde selbst einen Kanonenangriff verschlafen, aber nicht jeder hat meine Konstitution.«
    »Ich werde den Wanderalbatros aus der Voliere herausnehmen«, sagte Balthazar Jones.
    »Freut mich zu hören. Ansonsten, weiter so. Ich möchte nicht diese Bande vom Palast am Hals haben, wenn etwas schiefgeht.«
    Als Balthazar Jones zum Salt Tower zurückgekehrt war, holte er Äpfel und Sonnenblumenkerne aus seiner Tasche und legte sie auf den Couchtisch. Er machte sich nicht die Mühe, das Licht anzuschalten oder die Gardinen zuzuziehen, und setzte sich im Dunkeln aufs Sofa. Als er die bleiche Mondsichel sah, fragte er sich wieder einmal, wo seine Frau wohl war. Schließlich stand er auf, machte sich ein paar Toasts, nahm sie mit ins Wohnzimmer und schaltete das Licht an. Während er aß, sah er plötzlich das Pferdekostüm. Er hatte sich noch nicht dazu aufraffen können, die Ohren wieder anzunähen. Schnell schaute er weg, und sein Blick fiel auf das Foto von Milo mit dem kostbaren Ammoniten, auf den er gestoßen war, als sie in Dorset nach Fossilien gesucht hatten. Wieder sah er weg, erblickte aber nun die Schuhe seiner Frau.
    Auf den Rest vom Abendessen verzichtete er, stieg die Wendeltreppe hinauf und machte sich nicht einmal mehr klar, dass dieselben Schritte bereits ein schottischer König aus dem dreizehnten Jahrhundert gegangen war. Er ließ sich ein Bad ein, aber als er sich im Wasser zurücklehnte, dachte er an sein schreckliches Geheimnis und daran, was Hebe Jones sagen würde, wenn sie es

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