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Der verborgene Charme der Schildkröte

Titel: Der verborgene Charme der Schildkröte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Stuart
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kontrollierte er ihre Verstecke im Schlafzimmer, sah neben dem Ankleidetisch und hinter dem Papierkorb nach. Alles, was er fand, waren die Spinnweben, die überall wucherten, seit seine Frau nicht mehr da war.
    Er stieg die Wendeltreppe zum Wohnzimmer hinab und schaute in die Lücke zwischen der Sofalehne und der runden Wand. Da war etwas. Als er aber mit der Taschenlampe in den staubigen Zwischenraum leuchtete, erwies sich der Gegenstand als ein Ball. Nun rückte er die Staffelei seiner Frau vom Bücherregal weg, fand aber nichts als eine vereinzelte schwarze Socke. Das vordere Ende des Pferdekostüms wäre ein ideales Versteck, und so hob er es hoch, fand aber nichts als die Ohren, die anzunähen er sich noch nicht hatte überwinden können.
    Den Kopf in die Hände gestützt, saß er im Sessel und versuchte, sich zu erinnern, wann er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Er dachte an den Besuch der Tower-Ärztin in der vergangenen Woche, als sich das Tier mit einem arthritischen Knarren in Bewegung gesetzt hatte. Seither hatte er sie nicht mehr gesehen. Er stand auf, ging wieder hoch und suchte nach Beweisen für eine schwache Darmmuskulatur. Nachdem er zum siebten Mal unters Bett geschaut hatte, setzte er sich auf den Boden, lehnte sich an den Ankleidetisch und fühlte sich vollkommen alleine auf der Welt.
    Rev. Septimus Drew saß im Badewasser, das nach Teebaumöl duftete, und schob den Finger zwischen jeden seiner bleichen Zehen. Nicht dass er glaubte, Reinlichkeit sei ein Weg zur Göttlichkeit, aber Vorsorge war besser als Nachsicht. Obwohl er nicht so häufig dem Regen ausgesetzt war wie die Beefeater, hatte er trotzdem Angst vor dem Pilz, der ihre Kniekehlen befiel. Als er sich im wohlriechenden Wasser zurücklehnte, dachte er an die Einladung, die er erhalten hatte, und fragte sich erneut, ob er tatsächlich Chancen hatte, den Erotic Fiction Award zu gewinnen. Da er niemals in seinem Leben irgendeinen ersten Platz errungen hatte, schlug er sich einen möglichen Sieg aus dem Kopf und schloss die Augen.
    Als er gerade über den Ausflug mit Ruby Dore zum Museum der Westminster Abbey nachdachte, klopfte es an der Tür. Mit der Verdrängungskraft eines Wals schoss er hoch und ließ das Wasser über den Wannenrand schwappen, weil er hoffte, dass es die Wirtin war. Er wickelte sich in einen Bademantel, eilte in eines der Gästezimmer, die nach vorne hinausgingen, legte die Stirn ans Fenster und schaute hinab. Auf der Türschwelle stand der Yeoman Gaoler. Seit er ihm die Gespensteraustreibung verweigert hatte, war er ihm aus dem Weg gegangen, aber gerade als er sich hinter den Vorhang zurückziehen wollte, schaute der Beefeater hoch, und ihre Blicke begegneten sich. Jetzt konnte er nicht mehr so tun, als wäre er nicht da, wie er es die letzten drei Male getan hatte. Also schob er das Schiebefenster hoch und rief: »Bin gleich da!«
    Tropfend kehrte er ins Badezimmer zurück und zog den feuchten Bademantel aus. Während er sich die übermäßig langen Beine abtrocknete, fragte er sich, warum er auf dem Gebiet der Gespensteraustreibung ein so hoffnungsloser Fall war. In seiner Gemeinde wäre eine solche Begabung zweifellos von Nutzen. Während sich die Beefeater damit brüsteten, wie vielen Gespenstern sie angeblich im Tower begegneten, sprachen sie über die Geistererscheinungen bei sich daheim, die sie in größte Panik versetzten, ausschließlich mit dem Kaplan. Wenn es aber um Exorzismus ging, war er, sehr zum Ärger der Beefeater, schlicht der falsche Mann.
    Als er angezogen war, stieg er langsam die Treppe hinunter und blieb zwischendurch stehen, um eine Macke am Handgeländer zu betrachten.
    »Ja?«, sagte er, als er die Tür öffnete.
    »Ich habe mich gefragt, ob Sie nicht kommen könnten, um das kleine Problem zu lösen, über das wir kürzlich gesprochen haben«, sagte der Yeoman Gaoler. Die schwarzen Schatten unter seinen Augen waren in einem verirrten Sonnenstrahl besonders deutlich zu erkennen.
    »Was für ein kleines Problem?«, erkundigte sich der Kaplan.
    Der Yeoman Gaoler nickte zu seinem Haus hinüber. »Sie wissen schon.«
    »Tu ich das?«
    »Ode an Cynthia? Tabakgeruch? Verschwundene Kartoffeln?«
    »Ach so«, sagte der Kaplan und begann, die Tür langsam wieder zu schließen. »Sagen Sie mir einfach, wann Sie Zeit haben, und wir vereinbaren einen Termin.«
    Der Yeoman Gaoler schob einen Fuß in die Tür. »Jetzt habe ich Zeit«, sagte er.
    Eine Pause trat ein.
    »Sind Sie sicher, dass es Ihnen jetzt

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