Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Schuljunge.
»Wo sind wir hier?«, fragte ich.
»In einem Garten. Den habe ich angelegt. Du hättest mal das ganze Unkraut sehen sollen, als ich angefangen habe mit dem Bepflanzen. Wir haben hier richtig geschuftet, stimmt’s, Davies?«
»Das stimmt allerdings, Miss Eliza«, sagte Davies und stellte den Topf mit der Pflanze an der Gartenmauer ab.
»Das wird unser Garten, Rose, er wird dir und mir gehören. Ein geheimer Ort, wo wir zu zweit ungestört sein können, genauso, wie wir es uns als kleine Mädchen immer erträumt haben. Eine Mauer rundherum, zwei Tore mit dicken Schlössern, unser eigenes kleines Paradies. Selbst wenn du krank bist, kannst du herkommen, Rose. Die Mauer schützt vor dem rauen Seewind, und dann kannst du die Vögel
zwitschern hören, den Duft der Blumen schnuppern und die Sonne im Gesicht spüren.«
Ihre Begeisterung war so ansteckend, dass ich unwillkürlich anfing, mich nach einem solchen Garten zu sehnen. Als ich die sorgfältig angelegten Beete betrachtete und die Pflanzen, die gerade angefangen hatten zu knospen, konnte ich mir das Paradies, das Eliza mir ausmalte, genau vorstellen. »Als ich noch ganz klein war, habe ich manchmal Leute von einem geheimen Garten auf dem Anwesen reden hören«, sagte ich, »aber ich habe das immer für ein Märchen gehalten.«
»Es ist kein Märchen«, erwiderte Eliza mit leuchtenden Augen. »Er ist immer da gewesen, und jetzt werden wir ihn zu neuem Leben erwecken.«
Die beiden mussten tatsächlich hart gearbeitet haben. Wenn sich wirklich niemand um den Garten gekümmert hatte, wenn er seit … Dann fiel mir wieder ein, was ich als Kind über den Garten gehört hatte, und plötzlich wusste ich genau, wessen Garten das gewesen war.
»Ach, Eliza«, sagte ich hastig. »Du musst vorsichtig sein, wir beide müssen vorsichtig sein. Lass uns ganz schnell von hier verschwinden und nie wieder herkommen. Wenn Vater erfährt, dass …«
»Der weiß doch längst Bescheid«, fiel Eliza mir ins Wort.
Ich war völlig entgeistert und habe sie wohl etwas schärfer angesehen als beabsichtigt. »Was willst du damit sagen?«
»Onkel Linus persönlich hat Davies angewiesen, mir den Garten zu überlassen. Er hat Davies gebeten, das Gestrüpp vor dem Tor zu entfernen, damit wir uns an die Arbeit machen konnten.«
»Aber Vater hat jedem im Haus verboten, den Garten hinter der Mauer zu betreten.«
Eliza zuckte die Achseln, diese Geste, die so typisch für sie ist und die Mama so verabscheut. »Dann hat er eben seinem Herzen einen Ruck gegeben und es sich anders überlegt.«
Seinem Herzen einen Ruck gegeben. Wie merkwürdig das klang
im Zusammenhang mit Vater. Es war das Wort Herz. Bis auf das eine Mal, als ich mich unter seinem Schreibtisch versteckt hatte und hörte, wie er um seine Schwester, um sein Püppchen weinte, kann ich mich nicht erinnern, Vater auch nur ein einziges Mal in einer Verfassung erlebt zu haben, die darauf schließen ließe, dass er ein Herz besitzt. Dann wurde mir auf einmal alles klar, und ich spürte einen seltsamen Klumpen im Magen. »Weil du ihre Tochter bist.«
Aber Eliza hat mich gar nicht gehört. Sie war bereits dabei, den großen Blumentopf auf ein Loch zuzuschieben, das sie vor der Mauer ausgehoben hatte.
»Das hier ist unser erster Baum«, rief sie mir zu. »Wir werden das Ereignis mit einer Zeremonie begehen. Deswegen war es mir so wichtig, dass du heute hier bist. Dieser Baum wird immer weiterwachsen, egal, wo das Leben uns hinführt, und er wird uns nie vergessen: Rose und Eliza.«
Davies kam und reichte mir einen kleinen Spaten. »Es ist Miss Elizas Wunsch, dass Sie als Erste einen Spaten voll Erde auf die Wurzeln des Baums werfen, Miss Rose.«
Miss Elizas Wunsch. Wie hätte ich mich einer solchen Macht widersetzen sollen?
»Was für ein Baum ist es denn überhaupt?«, fragte ich.
»Ein Apfelbaum.«
Ich hätte es mir denken können. Eliza hat schon immer etwas für Symbole übrig gehabt, und Äpfel sind schließlich die ersten Früchte des Paradieses.
Julia blickte auf , und eine Träne lief ihr über die Wange. Sie schniefte lächelnd. »Ich habe Rose so in mein Herz geschlossen. Geht es Ihnen nicht auch so, dass Sie ihre Gegenwart spüren?«
Cassandra erwiderte das Lächeln. Sie hatte einen Apfel von dem Baum gegessen, den ihre Urgroßmutter vor fast hundert Jahren zusammen mit Eliza Makepeace gepflanzt hatte. Sie errötete
leicht, als der Gedanke an den Apfel ihre Erinnerung an den seltsamen Traum
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