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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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für sie bestimmt beinahe so gewesen, als könnte sie die Stimme ihrer Mutter hören.«
    »Ich denke schon die ganze Woche über Ihre Großmutter nach«, sagte Julia. »Seit Sie mir diese Geschichte erzählt haben, frage ich mich, was Eliza dazu gebracht haben kann, die kleine Ivory zu entführen.«
    »Und? Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?«
    »Neid«, sagte Julia. »Je länger ich mir den Kopf darüber zerbreche, umso mehr bin ich davon überzeugt. Neid ist ein sehr überzeugendes Motiv, und Eliza hatte weiß Gott genug Gründe, auf Rose neidisch zu sein: Roses Schönheit, ihr talentierter Ehemann, ihr Geburtsrecht. Ihre ganze Kindheit über muss Eliza Rose als ein Mädchen erlebt haben, das alles besaß, was sie selbst nicht hatte: wohlhabende Eltern, ein großartiges Haus, eine Liebenswürdigkeit, für die sie von den Leuten verehrt wurde. Und dann zu erleben, wie Rose, kaum dass sie erwachsen ist, so plötzlich heiratet, noch dazu einen Mann, der äußerst attraktiv gewesen sein muss, und schließlich eine süße kleine Tochter zur Welt bringt … Lieber Himmel, selbst ich könnte auf Rose neidisch werden! Stellen Sie sich bloß mal vor, wie das für Eliza gewesen
sein muss - die nach allem, was man über sie weiß, wohl ein ziemlich schräger Vogel war.« Sie trank ihr Glas aus und stellte es mit Nachdruck ab. »Ich versuche nicht zu rechtfertigen, was sie getan hat, ganz und gar nicht, ich sage nur, dass es mich nicht wundert.«
    »Es ist zumindest die nächstliegende Antwort, nicht wahr?«
    »Und die nächstliegende Antwort ist gewöhnlich die richtige. Es steht alles in den Tagebüchern - na ja, man kann es finden, wenn man weiß, wonach man sucht. Von dem Augenblick an, als Rose erfahren hat, dass sie schwanger ist, hat Eliza sich immer mehr von ihr zurückgezogen. Und nach Ivorys Geburt erwähnt Rose Eliza kaum noch. Es muss Rose sehr bedrückt haben - Eliza war für sie wie eine Schwester, und plötzlich, in einer Zeit, die für Rose so etwas ganz Besonderes ist, zieht sie sich zurück. Packt ihre Sachen und verschwindet.«
    »Wohin denn?«, fragte Cassandra verwundert.
    »Irgendwo nach Übersee, glaube ich.« Julia runzelte die Stirn. »Obwohl ich mir jetzt, wo Sie danach fragen, nicht mehr ganz sicher bin, dass Rose ausdrücklich schreibt …« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aber das ist eigentlich auch egal. Tatsache ist, dass sie fortging, als Rose schwanger war, und erst nach Ivorys Geburt zurückgekehrt ist. Die Freundschaft zwischen den beiden Frauen war nie wieder wie früher.«
     
     
     
    Cassandra gähnte und rückte ihr Kopfkissen noch einmal zurecht. Ihre Augen schmerzten vor Müdigkeit, aber sie war fast am Ende des Jahres 1907 angelangt und wollte das Tagebuch nicht weglegen, wo doch nur noch wenige Seiten zu lesen blieben. Außerdem, je eher sie sie las, desto besser. Zwar war Julia freundlicherweise bereit gewesen, ihr die Hefte auszuleihen, aber sie wusste nicht, für wie lange. Zum Glück war Roses Handschrift im Gegensatz zu Nells gleichmäßig und deutlich. Cassandra trank einen Schluck
von ihrem mittlerweile nur noch lauwarmen Tee, überschlug ein paar Seiten, die nur eingeklebte Stückchen Stoff, Seidenband und Tüll und schwungvolle Unterschriftsproben enthielten: Mrs Rose Mountrachet Walker, Mrs Walker, Mrs Rose Walker . Cassandra musste lächeln - manche Dinge änderten sich nie - und nahm sich die letzte Seite vor.
     
     
     
    Ich habe gerade Tess von den d’Urbervilles noch einmal gelesen. Es ist ein verwirrender Roman, von dem ich nicht behaupten kann, dass er mir wirklich gefällt. Hardys Bücher enthalten so brutale Stellen, das ist für meinen Geschmack einfach zu viel: Letztlich bin ich trotz bester Absichten die Tochter meiner Mutter. Dass Angel zum Christentum konvertiert, seine Heirat mit Liza-Lu, der Tod des armen kleinen Sorrow - diese Dinge irritieren mich alle. Warum bekommt Sorrow kein christliches Begräbnis? Kinder müssen doch nicht für die Sünden ihrer Eltern büßen, oder? Findet Hardy Angels Konversion richtig oder hat er seine Zweifel? Und wie ist es möglich, dass Angel plötzlich nicht mehr Tess, sondern ihre Schwester liebt?
    Na ja, diese Dinge haben schon größere Geister ins Grübeln gebracht, und ich habe die tragische Geschichte von der traurigen Tess nicht noch einmal gelesen, um Literaturkritik zu üben. Ich muss gestehen, dass ich den guten Mr Thomas Hardy zurate gezogen habe in der Hoffnung, etwas darüber zu erfahren, was

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