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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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seinen Bart strich, berührte etwas in Nell. Für den Bruchteil einer Sekunde war sie wieder fünf Jahre alt und saß auf Haims Schoß, den Kopf an sein stacheliges Kinn gelehnt. William lächelte und zeigte dabei seine großen, vom Tabak gebräunten Zähne. »Anders als alles, was man kannte. Sie war einzigartig. Wir alle hier im Dorf erzählen gern Geschichten, aber die Geschichten,
die sie sich immer ausdachte, waren einfach unglaublich. Sie war lustig, mutig, überraschend.«
    »War sie schön?«
    »Ja, und schön war sie auch.« Ihre Blicke begegneten sich flüchtig. »Sie hatte rotes Haar, so lang, dass es ihr bis zur Taille reichte.« Er zeigte es mit seiner Pfeife an. »Sie saß gern auf dem großen, schwarzen Felsen in der Bucht und schaute aufs Meer hinaus. An klaren Tagen konnten wir sie dort sitzen sehen, wenn wir in den Hafen zurückkehrten. Dann hat sie uns immer zugewinkt und sah wahrhaftig aus wie die Königin der Kobolde.«
    Nell lächelte. »Die Königin der Kobolde - Die Piskie Queen .«
    William tat, als interessierte er sich intensiv für die Rillen im Stoff seiner Cordhose und grunzte vor sich hin.
    Plötzlich wurde Nell klar: Das war kein Zufall.
    »Robyn müsste jeden Augenblick hier sein«, sagte William, ohne zur Tür zu sehen. »Dann trinken wir eine Tasse Tee.«
    »Haben Sie Ihr Boot nach ihr benannt?«
    Williams Mund öffnete sich und schloss sich wieder. Er seufzte. Es war der Seufzer eines jungen Mannes.
    »Sie waren in sie verliebt.«
    Er ließ die Schultern hängen. »Sicher war ich in sie verliebt«, antwortete er trocken. »Wie jeder junge Mann, der sie je zu Gesicht bekommen hat. Ich sagte ja bereits, sie war anders als alle anderen. Die Regeln, die für uns normale Menschen galten, interessierten sie nicht die Bohne. Sie hat immer nach dem gehandelt, was ihre Gefühle ihr sagten - und sie hatte eine Menge Gefühle.«
    »Und war sie, ich meine, waren Sie mit ihr …«
    »Ich war mit einer anderen verlobt.« Sein Blick wanderte zu einem gerahmten Foto an der Wand, einem Bild von einem jungen Paar in Hochzeitskleidung, sie sitzend, er hinter ihr stehend. »Cecily und ich waren damals schon seit mehreren Jahren ein Paar. So ist das halt auf dem Dorf. Man wächst neben einem Mädchen auf, man spielt zusammen auf den Klippen, und ehe
man sich’s versieht, ist man schon drei Jahre verheiratet, und das zweite Kind ist unterwegs.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus, der seine Schultern zusammensacken und seinen Pullover plötzlich zu groß aussehen ließ.»Als ich Eliza kennenlernte, geriet für mich die Welt aus den Angeln. Besser kann ich es nicht beschreiben. Es war, als hätte sie mich verhext, ich konnte an nichts anderes mehr denken.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hatte Cecily wirklich sehr lieb, aber für Eliza hätte ich sie auf der Stelle verlassen.« Er schaute Nell kurz an, wandte sich dann wieder ab. »Ich bin nicht stolz darauf, es klingt verdammt treulos. Und das war es auch, ja, das war es.« Er wandte sich Nell wieder zu. »Aber man kann einem jungen Mann seine Gefühle nicht vorwerfen, oder?«
    Als er sie mit seinem Blick durchbohrte, spürte Nell, dass sich etwas in ihr sträubte. Sie verstand: Er sehnte sich schon so lange nach einer Absolution. »Nein«, sagte sie. »Nein, das kann man nicht.«
    William seufzte erneut und sagte so leise, dass Nell sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen: »Manchmal will der Körper Dinge, die der Verstand nicht erklären, sich nicht einmal bewusst machen kann. Ich habe nur noch an Eliza gedacht, ich konnte nicht anders. Es war wie, es war wie eine …«
    »Sucht?«
    »Ja, genau. Ich hatte das Gefühl, nur mit ihr glücklich werden zu können.«
    »Hat sie dasselbe für Sie empfunden?«
    Er hob die Brauen und lächelte wehmütig. »Wissen Sie, eine Zeit lang dachte ich tatsächlich, es wäre so. Sie hatte so eine gewisse Art, so eine intensive Ausstrahlung, und wenn man mit ihr zusammen war, gab sie einem das Gefühl, dass es keinen Ort auf der ganzen Welt gab, an dem sie sich in dem Moment lieber aufhalten würde, und niemanden, mit dem sie lieber zusammen gewesen wäre.« Er lachte, und es klang ein wenig bitter. »Ich habe meinen Irrtum schon bald einsehen müssen.«

    »Was ist passiert?«
    Er schürzte die Lippen, und eine Schrecksekunde lang fürchtete Nell schon, er würde nichts mehr preisgeben. Als er fortfuhr, atmete sie erleichtert auf. »Es war an einem Winterabend. Muss 1908 oder 1909 gewesen sein. Ich hatte einen

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