Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Beteiligten einfacher gewesen.«
»Darüber kann man geteilter Meinung sein.«
»Ich meine in gesellschaftlicher Hinsicht. Dann ist Rose gestorben …«
»Und Eliza hat ihr Kind wieder zu sich genommen. Das würde einen Sinn ergeben.« Cassandra betrachtete die Nebeldecke, die sich über dem hohen Gras entlang der Straße ausgebreitet hatte. »Aber warum ist sie nicht mit Nell zusammen auf das Schiff nach Australien gegangen? Warum holt eine Frau erst ihr Kind wieder zu sich und schickt es dann ganz allein auf eine lange und gefährliche Schiffsreise in ein fremdes Land?« Cassandra stieß einen tiefen Seufzer aus. »Je mehr wir erfahren, desto verworrener wird die Geschichte.«
»Vielleicht ist sie ja mit ihr zusammen gefahren. Vielleicht ist ihr unterwegs etwas zugestoßen, vielleicht ist sie krank geworden oder so. Clara war sich jedenfalls sicher, dass sie gefahren ist.«
»Aber Nell konnte sich daran erinnern, dass Eliza sie aufs Schiff gebracht und ihr befohlen hat zu warten, dass sie dann weggegangen und nicht wieder zurückgekommen ist. Es war eins
der wenigen Dinge, dessen sie sich wirklich ganz sicher war.« Cassandra kaute an ihrem Daumennagel. »Was für ein Frust. Ich hatte gehofft, wir würden heute endlich ein paar Antworten bekommen. Stattdessen tun sich nur neue Fragen auf.«
»Aber eins steht immerhin fest. In dem Märchen Das goldene Ei geht es nicht um Mary. Eliza hat es über sich selbst geschrieben. Sie war die Jungfrau im Cottage.«
»Arme Eliza«, sagte Cassandra, während die dämmrig-träge Außenwelt an ihr vorbeizog. »Das Leben der Jungfrau, nachdem sie das Ei weggegeben hat, ist so …«
»Trostlos.«
»Ja.« Cassandra schüttelte sich. Nur zu gut kannte sie den Verlust, der einem Menschen den Lebenssinn raubt und ihn bleich und leer zurücklässt. »Kein Wunder, dass sie Nell zurückgeholt hat, als sich ihr die Gelegenheit bot.« Was hätte Cassandra nicht für eine zweite Chance gegeben?
Als sie das Ortseingangsschild von Tregenna passierten, bog Christian von der Hauptstraße ab. »Wollen Sie meine Meinung hören?«
»Sie machen mich neugierig«, erwiderte Cassandra.
»Wir sollten im Pub etwas essen gehen und alles noch einmal durchsprechen. Vielleicht fällt uns bei einem Bier ja mehr dazu ein.«
Cassandra lächelte. »Also gut, Bier hilft mir immer enorm dabei, einen klaren Kopf zu bekommen. Könnten wir vorher kurz zum Hotel fahren, damit ich mir meine Jacke holen kann?«
Christian nahm die Straße durch den Wald und bog in die Einfahrt zum Hotel Blackhurst ein. Wegen des immer noch dichten Nebels musste er besonders vorsichtig fahren.
»Bin gleich wieder da«, sagte Cassandra und schlug die Wagentür zu. Sie stürmte die Treppe hinauf ins Foyer. »Hallo, Sam«, sagte sie und winkte Samantha an der Rezeption zu.
»Hallo, Cass. Sie werden schon erwartet.«
Cassandra hielt mitten im Lauf inne.
»Robyn Jameson wartet schon ungefähr eine halbe Stunde auf Sie.«
Cassandra warf einen Blick nach draußen. Christian war mit dem Autoradio beschäftigt. Er würde es ihr nicht übel nehmen, wenn sie sich einen Moment lang aufhielt. Cassandra konnte sich nicht vorstellen, was Robyn ihr zu erzählen hatte, aber es würde sicherlich nicht viel Zeit in Anspruch nehmen.
»Hallo«, sagte Robyn, als sie Cassandra näher kommen sah. »Ein Vögelchen hat mir erzählt, dass Sie sich heute Morgen ziemlich lange mit meiner entfernten Cousine Clara unterhalten haben.«
Das Netzwerk des ländlichen Klatschs funktionierte offenbar einwandfrei. »Stimmt.«
»Ich nehme an, es war sehr nett.«
»Das war es wirklich, danke. Ich hoffe, Sie haben nicht zu lange warten müssen.«
»Nein, nein. Ich habe etwas für Sie. Ich hätte es auch an der Rezeption abgeben können, aber ich denke, ich sollte ein paar erklärende Worte dazu sagen.«
Cassandra hob die Brauen.
»Am Wochenende habe ich meinen Vater im Seniorenheim besucht. Er möchte immer gern auf dem Laufenden gehalten werden, was sich so tut im Ort - er war früher Postmeister, wissen Sie -, und ich habe ihm beiläufig erzählt, dass Sie hier sind und das Cottage wieder in Schuss bringen, das Ihre Großmutter Ihnen hinterlassen hat. Da hat er mich plötzlich ganz komisch angesehen. Er mag ja alt sein, aber geistig ist er topfit, genau wie sein Vater früher. Er hat mich am Arm gepackt und gesagt, es gibt noch einen Brief, der an Sie adressiert ist.«
»An mich?«
»Genau genommen an Ihre Großmutter, aber da sie nicht mehr unter
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