Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
das Gefühl gegeben haben, dass sie etwas für Eliza getan hatte. Sie hat sie so sehr vermisst, nachdem sie weggegangen war, das können Sie mir glauben.«
Cassandra nickte. Die Lösung von Nells Rätsel war zum Greifen nah. »Die beiden haben sich sehr gemocht, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt.«
»Was, glauben Sie, hat sie so miteinander verbunden?« Cassandra presste die Lippen zusammen, sie musste sich beherrschen.
Clara verschränkte die gichtigen Finger in ihrem Schoß und senkte die Stimme. »Die beiden waren an etwas beteiligt, wovon sonst niemand wusste.«
Irgendetwas in Cassandras Innerem begann sich zu lösen. Ihre Stimme klang schwach. »Was war es? Was hat Ihnen Ihre Mum erzählt?«
»Es war kurz vor ihrem Tod. Sie sagte, dass etwas Schreckliches passiert war und dass die, die es getan hätten, glaubten, sie wären ungeschoren davongekommen. Das hat sie immer und immer wieder gesagt.«
Cassandras Puls raste. »Und was, glauben Sie, hat sie damit gemeint?«
»Zuerst habe ich dem gar keine besondere Bedeutung beigemessen. Am Ende hat sie öfter mal komische Sachen von sich gegeben. Hat unsere alten Freunde beleidigt. Sie war wirklich nicht mehr sie selbst. Aber sie hat immer wieder davon angefangen. ›Es steht alles in der Geschichte‹, sagte sie dauernd. ›Sie haben es der jungen Frau weggenommen, und dann haben sie sie fortgeschickt.‹ Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wovon sie redete, um welche Geschichte es sich handelte. Aber am Ende hat es auch keine Rolle mehr gespielt, denn sie hat mir schließlich alles erzählt.« Clara holte tief Luft und schaute Cassandra kopfschüttelnd und traurig an. »Rose Mountrachet war nicht die leibliche Mutter dieses kleinen Mädchens, sie war nicht die Mutter Ihrer Großmutter.«
Cassandra atmete erleichtert auf. Endlich kam die Wahrheit ans Licht. »Ich weiß«, sagte sie und nahm Claras Hände. »Nell war Marys Kind, und weil Mary schwanger war, wurde sie entlassen.«
Claras Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Sie sah abwechselnd von Christian zu Cassandra, ihre Augenwinkel zuckten, sie blinzelte verwirrt und fing schließlich an, laut zu lachen.
»Was ist?«, fragte Cassandra beunruhigt. »Was ist denn so komisch?«
»Meine Mum war zwar schwanger, aber sie hat kein Kind bekommen.
Damals jedenfalls nicht. Sie hat es im vierten Monat verloren.«
»Wie bitte?«
»Das versuche ich Ihnen ja gerade zu erklären. Nell war nicht das Kind meiner Mutter, sie war Elizas Kind.«
»Eliza war schwanger.« Cassandra nahm ihren Schal ab und legte ihn auf ihre Tasche, die hinter dem Beifahrersitz stand.
»Eliza war schwanger.« Christian trommelte mit den behandschuhten Fingern auf das Lenkrad.
Die Heizung surrte und tickte, während sie Polperro hinter sich ließen. Mittlerweile war Nebel aufgekommen, und von der Küstenstraße aus waren die gedämpften Lichter der gespenstisch auf den Wellen schaukelnden Fischerboote zu sehen.
Cassandra starrte ins Leere, ihr Kopf war genauso benebelt wie die Welt draußen. »Eliza war schwanger. Sie war Nells Mutter. Deshalb hat sie sie mitgenommen.« Wenn sie es nur oft genug sagte, würde es vielleicht einen Sinn ergeben.
»So muss es wohl gewesen sein.«
Sie legte den Kopf zur Seite und rieb sich den Nacken. »Aber ich verstehe es nicht. Als wir Mary für Nells Mutter hielten, hat das alles einen Sinn ergeben. Aber Eliza … Ich kann mir nicht vorstellen, wie Rose an Ivory gekommen ist. Warum hat Eliza sie ihr überlassen? Und wieso wusste niemand davon?«
»Außer Mary.«
»Außer Mary.«
»Wahrscheinlich haben sie es geheim gehalten.«
»Elizas Angehörige?«
Er nickte. »Sie war jung, unverheiratet und das Mündel der Mountrachets, was bedeutet, dass die für sie verantwortlich waren. Und dann wurde sie schwanger. Das hätte gar nicht gut ausgesehen.«
»Und wer war der Vater?«
Christian zuckte die Achseln. »Ein Kerl aus dem Ort? Hatte sie denn einen Freund?«
»Keine Ahnung. Sie war mit Marys Bruder William befreundet; das steht in Nells Notizbuch. Sie hatten eine enge Beziehung, bis sie sich wegen irgendetwas zerstritten haben. Vielleicht war er der Vater?«
»Wer weiß. Wahrscheinlich ist es auch gar nicht so wichtig.« Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ich meine, natürlich ist es wichtig, für Nell und für Sie, aber im Moment ist nur von Belang, dass Eliza schwanger war und nicht Rose.«
»Also hat man Eliza dazu überredet, Rose ihr Kind zu überlassen.«
»Es wäre für alle
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