Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
war?«
»Weil die, die dort wohnten, wie Tote waren, hat meine Mum gesagt. Alle bedrückt aus dem einen oder anderen Grund. Alle wollten irgendetwas, das sie nicht haben durften oder konnten.«
Cassandra dachte über diesen Einblick in das Leben auf Blackhurst nach. Es deckte sich nicht mit dem Eindruck, den sie durch die Lektüre von Roses Tagebüchern gewonnen hatte, wobei Rose, die sich in erster Linie für neue Kleider und die Eskapaden ihrer Cousine Eliza interessierte, nur eine von vielen Stimmen war in dem Haus, in dem es von Menschen gewimmelt hatte. Aber so war Geschichtsschreibung nun einmal: fiktiv, parteiisch, nicht überprüfbar, aufgezeichnet von den Siegern.
»Ihre Herrschaft, der Lord und die Lady, waren gleichermaßen widerlich nach Meinung von Mum. Aber die haben ja dann am Ende bekommen, was sie verdient haben, nicht wahr?«
Cassandra runzelte die Stirn. »Wer?« »Na, die beiden. Lord und Lady Mountrachet. Sie ist einen oder zwei Monate nach ihrer Tochter an Blutvergiftung gestorben.« Clara schüttelte den Kopf, senkte verschwörerisch die Stimme und fügte beinahe schadenfroh hinzu: »Ganz scheußlich. Nach allem, was meine Mutter von den Dienstboten gehört hat, muss sie zum Schluss einen furchterregenden Anblick geboten haben. Das Gesicht zu einer Fratze verzerrt, ist sie aus ihrem Krankenbett geflohen und mit einem großen Schlüsselring durch die Flure geschlichen, hat alle Türen abgeschlossen und irgendwas von einem Geheimnis fantasiert, von dem niemand etwas erfahren durfte. Sie war vollkommen wahnsinnig am Ende, und er nicht minder.«
»Lord Mountrachet hatte auch eine Blutvergiftung?«
»Oh nein, der nicht. Der hat sein Vermögen durch seine vielen
Reisen in exotische Länder verloren.« Erneut senkte sie die Stimme. »Wo Voodoo-Priester ihr Unwesen trieben. Es heißt, er hätte Souvenirs mitgebracht, dass es einen nur so grauste. Nach allem, was man hört, ist er immer mehr durchgedreht. Das gesamte Personal ist weggegangen bis auf ein Küchenmädchen und einen Gärtner, der sein ganzes Leben dort gearbeitet hatte. Meine Mum hat erzählt, als der Alte schließlich gestorben ist, war keiner mehr da, und man hat ihn erst Tage später gefunden.« Clara lächelte so breit, dass sich ihre faltigen Augenlider beinahe schlossen. »Aber Eliza ist davongekommen, nicht wahr? Mit dem Schiff übers Meer, hat meine Mum gesagt. Darüber war sie immer so erleichtert.«
»Aber nicht nach Australien«, sagte Cassandra.
»Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wohin«, erwiderte Clara. »Ich weiß nur, was meine Mum mir erzählt hat, dass Eliza rechtzeitig aus diesem schrecklichen Haus geflohen ist. Sie ist weggegangen, als hätte sie es schon immer geplant, und ist nie wieder zurückgekommen.« Sie hob einen Finger. »Daher stammen auch diese Zeichnungen, die es der Frau vom Museum so angetan haben. Sie gehörten Eliza. Sie befanden sich unter ihren Sachen.«
Cassandra lag die Frage auf der Zunge, ob Mary sie von Eliza gestohlen hätte, aber sie behielt sie für sich, denn die Unterstellung, Claras geliebte Mutter könnte ihrer Arbeitgeberin wertvolle Kunstwerke entwendet haben, kam ihr plötzlich ungehörig vor. »Unter welchen Sachen?«
»In den Kisten, die meine Mum gekauft hat.«
Jetzt war Cassandra tatsächlich verwirrt. »Sie hat von Eliza Kisten gekauft?«
»Sie hat sie nicht von ihr gekauft. Sie gehörten Eliza, und sie hat sie gekauft, nachdem Eliza fort war.«
»Wem hat sie sie denn abgekauft?«
»Es gab einen großen Verkauf im Herrenhaus. Ich kann mich sogar noch daran erinnern. Meine Mum hat mich damals mitgenommen.
Das war 1934, da war ich vierzehn. Nachdem der alte Lord gestorben war, beschloss ein entferntes Familienmitglied aus Schottland, das Anwesen zu verkaufen, zweifellos in der Hoffnung, während der Depression an Geld zu kommen. Jedenfalls hat meine Mum davon in der Zeitung gelesen und so erfahren, dass auch kleinere Dinge aus dem Nachlass verkauft werden sollten. Wahrscheinlich gefiel meiner Mum die Vorstellung, ein kleines Stückchen von dem Ort zu besitzen, an dem man sie so schlecht behandelt hatte. Sie hat mich mitgenommen, weil sie meinte, es wäre gut für mich zu sehen, wo sie als junge Frau in Stellung gewesen war. Dass ich dann dankbar wäre, nicht als Dienstmädchen arbeiten zu müssen, und mich in der Schule ein bisschen mehr anstrengen würde, damit ich es später einmal besser als sie hätte. Nicht dass es funktioniert hätte, aber es hat mich schon ziemlich
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