Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
zugestimmt und in den folgenden Wochen nur wenig darüber nachgedacht, was eine solche Verpflichtung beinhaltete. Sie war zu sehr von Dankbarkeit erfüllt gewesen, dass Rose sie endlich wieder brauchte. Erst als der Zeitpunkt immer näher rückte, begann ihr zu dämmern, dass aus der Möglichkeit Wirklichkeit werden würde.
Und dennoch, es gab nichts, was sie nicht für Rose tun würde. Immer und immer wieder redete sie sich ein, dass das, was sie im Begriff war zu tun, das Band zwischen ihnen für ewig festigen würde, egal, wie grässlich der unbekannte Akt sein würde. Sie machte es sich zu einer Art Mantra: Rose und sie würden verbunden sein wie nie zuvor. Rose würde sie mehr lieben als je zuvor, würde sich nie wieder von ihr zurückziehen. Sie tat das alles nur für Rose.
Als es in jener ersten Nacht klopfte, wiederholte Eliza im Stillen ihr Mantra, öffnete die Tür und ließ Nathaniel eintreten.
Er blieb eine Weile im Flur stehen, bis Eliza auf den Kleiderhaken zeigte. Er zog den Mantel aus und lächelte sie beinahe dankbar an. Da begriff sie, dass er ebenso nervös war wie sie.
Er folgte ihr in die Küche, ging zum Tisch, bestrebt, dort einen sicheren Halt zu finden, und setzte sich auf die Kante eines Stuhls.
Eliza stand auf der anderen Seite, wischte sich die sauberen Hände am Rock ab, wusste nicht, was sie sagen, wie es weitergehen sollte. Sicherlich wäre es das Beste, einfach nur zu tun, was notwendig war, es hinter sich zu bringen. Es gab keinen Grund, das Unbehagen noch weiter auszudehnen. Sie hob gerade an, ihre Gedanken auszusprechen, aber Nathaniel kam ihr zuvor.
»Ich dachte, du würdest vielleicht gern einen Blick darauf werfen. Ich arbeite schon seit einem Monat daran.«
Erst da bemerkte sie, dass er eine Ledermappe bei sich hatte.
Er legte sie auf den Tisch und nahm einen Stapel Blätter heraus. Zeichnungen, stellte Eliza fest.
»Ich habe mit der Feenjagd begonnen.« Er hielt ihr ein Blatt hin, und als sie es entgegennahm, fiel ihr auf, dass seine Hände zitterten.
Sie betrachtete das Bild: schwarze und weiße Linien, schraffierte Schatten. Eine bleiche, dünne Frau, ausgestreckt auf einem steinernen Lager in einem kalten, dunklen Turm. Das Gesicht der Frau war mit schmalen, langen Linien dargestellt. Sie war schön, zauberhaft, entrückt, so wie sie in Elizas Märchen beschrieben war. Und dennoch lag etwas anderes in Nathaniels Darstellung des Gesichts der gejagten Fee, etwas, das Eliza verblüffte. Die Frau auf dem Bild sah aus wie ihre Mutter. Nicht im wörtlichen Sinn, es lag eher am Schwung ihrer Lippen, den kühlen Mandelaugen, den hohen Wangenknochen. Auf undefinierbare Weise, wie durch ein Wunder, hatte Nathaniel Georgiana erfasst in seiner Darstellung der leblosen Glieder der Fee, ihrer Erschöpfung, der Resignation in ihren Gesichtszügen. Das Seltsamste: Eliza wurde zum ersten Mal klar, dass sie in ihrer Geschichte von der gejagten Fee ihre eigene Mutter beschrieben hatte.
Sie schaute ihn an, musterte seine dunklen Augen, die irgendwie in ihre Seele geschaut hatten. Während ihre Blicke sich begegneten, wurden ihre Gesichter vom warmen Schein des Feuers erleuchtet.
Die Umstände schienen alles zu verstärken: ihre Stimmen waren zu laut, ihre Bewegungen zu abrupt, die Luft zu kühl. Der Akt selbst war gar nicht so grässlich, wie sie befürchtet hatte, und auch nicht gewöhnlich. Und es lag etwas Unerwartetes in seiner Durchführung, das sie zu ihrer Verwunderung genoss. Eine Nähe, eine Intimität, die ihr so lange verwehrt gewesen war. Sie fühlte sich als Teil eines Paars.
Natürlich stimmte das nicht, und es wäre ein Verrat an Rose, so etwas auch nur zu denken, und dennoch … Seine Fingerkuppen auf ihrem Rücken, ihren Lenden, ihren Schenkeln. Die Wärme, wo sich ihre nackten Körper berührten. Sein Atem an ihrem Hals …
Irgendwann öffnete sie die Augen und betrachtete sein Gesicht, in dem sie seine Empfindungen lesen konnte wie in einem offenen Buch. Und als er auch die Augen öffnete und sie einander ansahen, fühlte sie sich plötzlich und unerwartet als körperliches Wesen. Geerdet, stabil, real.
Und dann war es vorüber, sie lösten sich voneinander, und das Band der körperlichen Nähe verschwand. Sie zogen sich wieder an, und sie begleitete ihn die Treppe hinunter. An der Haustür plauderten sie über die jüngste Überschwemmung und über die Wahrscheinlichkeit, dass sich in den kommenden Wochen das Wetter verschlechtern würde. Ein
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