Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
ihre Cousine nur noch mit gebührender Vorsicht. Anfangs war die Stimmung immer gut, Rose lächelte freudig, wenn sie Eliza sah, fragte, wie es ihr ging, und betastete Elizas Bauch, um zu fühlen, wie das Kind sich darin bewegte. Aber jedes Mal kam ein Moment, an dem Roses Stimmung ganz abrupt umschlug. Dann saß sie händeringend da, wollte Elizas Bauch nicht mehr berühren, konnte es nicht ertragen, sie anzusehen, und zupfte an ihrem Kleid herum, das mit einem Kissen ausgestopft war, um eine Schwangerschaft vorzutäuschen.
Nach dem sechsten Monat stellte Rose ihre Besuche ganz ein. Vergeblich wartete Eliza an dem vereinbarten Tag auf sie, und fragte sich verwirrt, ob sie sich vielleicht im Datum geirrt hatte. Aber sie hatte es in ihrem Tagebuch eingetragen.
Zuerst fürchtete sie, dass Rose krank geworden war, denn was sonst sollte sie von ihrem Besuch abhalten. Als Mary das nächste Mal mit ihrem Korb voller Lebensmittel kam, konnte Eliza nicht mehr an sich halten.
Mary stellte den Korb ab und setzte einen Kessel Wasser auf. Und schwieg.
»Mary?«, sagte Eliza und krümmte den Rücken, um das Kind zu bewegen, das gegen ihre Lenden drückte. »Du brauchst mich nicht zu schonen. Wenn es Rose nicht gut geht …«
»Das ist es nicht, Miss Eliza.« Mary drehte sich zu ihr um. »Mrs Walker findet es zu bedrückend, Sie zu besuchen.«
»Bedrückend?«
Mary wich Elizas Blick aus. »Sie hat das Gefühl, versagt zu haben, noch mehr als früher. Sie kann nicht schwanger werden, während Sie rumlaufen wie ein reifer Pfirsich. Nach ihren Besuchen bei Ihnen fühlt sie sich tagelang unwohl. Dann will sie Mr Walker nicht sehen, faucht die Mistress an und stochert in ihrem Essen herum.«
»Dann freue ich mich jetzt schon auf die Geburt. Wenn ich das Kind abliefere, wenn Rose endlich Mutter wird, dann wird sie all diese Gefühle vergessen.«
Und auf diese Weise gerieten sie wieder in vertrautes Fahrwasser: Mary schüttelte den Kopf und Eliza rechtfertigte ihre Entscheidung. »Es ist nicht richtig, Miss Eliza. Eine Mutter kann nicht einfach ihr Kind weggeben.«
»Es ist nicht mein Kind, Mary. Es gehört Rose.«
»Vielleicht werden Sie das anders sehen, wenn es so weit ist.«
»Das glaube ich nicht.«
»Sie wissen nicht …«
»Ich werde es nicht anders sehen, weil ich es nicht kann. Ich habe mein Wort gegeben. Wenn ich meine Meinung ändern sollte, würde Rose das niemals ertragen.«
Mary hob die Brauen.
»Ich werde Rose das Kind übergeben, und dann wird sie wieder glücklich sein«, sagte Eliza nachdrücklich. »Wir werden zusammen glücklich sein, so wie wir es früher waren. Verstehst du das denn nicht, Mary? Das Kind, das ich trage, wird mir meine Rose zurückgeben.«
Mary lächelte traurig. »Vielleicht haben Sie recht, Miss Eliza«, sagte sie, aber es klang nicht sehr überzeugt.
Dann, nach Monaten, in denen die Zeit still zu stehen schien, setzten die Wehen ein. Eine Woche eher als erwartet. Schmerzen, nichts als Schmerzen, der Körper wie eine Maschine, die sich in Betrieb setzt, um die Aufgabe zu erfüllen, für die sie vorgesehen ist. Mary, die die Anzeichen der bevorstehenden Geburt erkannt hatte, versicherte Eliza,
sie werde zur Stelle sein. Ihre Ma hatte mehrere Kinder zur Welt gebracht, und Mary wusste, was zu tun war.
Die Geburt verlief problemlos, und das Kind war das schönste, das Eliza je gesehen hatte, ein Mädchen, mit winzigen, hübsch anliegenden Ohren und zarten, blassen Fingern, die bei jedem Lufthauch zuckten.
Obwohl Mary den Auftrag hatte, unverzüglich über jedes Anzeichen der bevorstehenden Geburt zu berichten, ließ sie sich mehrere Tage Zeit. Sie sprach nur mit Eliza und beschwor sie, noch einmal darüber nachzudenken, was es bedeutete, diesen schrecklichen Pakt einzuhalten. Denn es sei nicht rechtens, flüsterte Mary immer wieder, dass man von einer Frau verlangte, ihr Kind zu opfern.
Drei Tage und Nächte lang war Eliza mit ihrem Neugeborenen allein. Wie seltsam es war, den kleinen Menschen vor sich zu haben, der in ihrem Körper herangewachsen war. Die winzigen Hände und Füße zu streicheln, die sie gefühlt hatte, als sie von innen gegen ihren Bauch gestrampelt hatten. Die kleinen Lippen zu betrachten, geschürzt, als wollten sie etwas sagen. Ein Ausdruck unendlicher Weisheit, als ob dieser kleine Mensch bereits das Wissen eines ganzen Lebens in sich trug.
Mitten in der dritten Nacht stand Mary vor der Tür und sprach die gefürchteten Worte aus. Am kommenden
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