Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
höfliches Gespräch, als wäre er nur vorbeigekommen, um sich ein Buch auszuleihen.
Schließlich griff er nach dem Türknauf, und das Schweigen legte sich schwer über sie. Das Gewicht dessen, was sie getan hatten. Er zog die Tür auf und schob sie wieder zu. Drehte sich zu ihr um. »Danke«, sagte er.
Sie nickte.
»Rose möchte … sie braucht …«
Sie nickte noch einmal, und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. Dann öffnete er die Tür und verschwand in der Nacht.
Im Lauf der Woche wurde das Ungewöhnliche zur Normalität, und sie gewöhnten sich daran. Nathaniel erschien jeweils mit seinen neuesten Skizzen, und sie diskutierten über die Geschichten und die Illustrationen. Er brachte sogar seine Bleistifte mit und nahm während der Gespräche Änderungen vor. Wenn die Zeichnungen fertig waren, plauderten sie über andere Dinge.
Auch wenn sie in Elizas schmalem Bett lagen, redeten sie miteinander. Nathaniel erzählte von seinen Eltern, von denen Eliza angenommen hatte, sie seien tot, von den Entbehrungen, unter denen er aufgewachsen war, von seinem Vater, der sich als Hafenarbeiter durchgeschlagen hatte, von den Händen seiner Mutter, die vom Wäschewaschen ganz rissig gewesen waren. Und Eliza sprach über Dinge, die sie bisher nie jemandem anvertraut hatte, geheime Dinge von früher: über ihre Mutter, den Vater, den sie nie gekannt hatte, ihre Träume, ihm aufs Meer hinaus zu folgen. Die eigentümliche und unerwartete Intimität brachte sie sogar dazu, über Sammy zu sprechen.
So verging die Woche, und in der letzten Nacht kam Nathaniel früher als sonst. Es war, als sträubte er sich plötzlich zu tun, was getan werden musste. Sie saßen sich am Tisch gegenüber wie in ihrer ersten Nacht, doch diesmal schwiegen sie. Dann, ganz unvermittelt, langte Nathaniel über den Tisch und hob eine Strähne von Elizas langem Haar an, und durch das Kerzenlicht verwandelte sich das Rot in Gold. Konzentriert betrachtete er die Haarsträhne zwischen seinen Fingern. Dunkles Haar warf einen Schatten auf seine Wangen, und in seinen großen schwarzen Augen lagen unausgesprochene Gedanken. Plötzlich war Eliza ganz beklommen zumute.
»Ich möchte nicht, dass es vorbei ist«, sagte er schließlich leise. »Es ist unvernünftig, ich weiß, aber ich …«
Er unterbrach sich, als Eliza ihm einen Finger auf die Lippen legte. Ihn zum Schweigen brachte.
Ihr Herz pochte wie wild, und sie betete, dass er es nicht merkte. Er durfte diesen Satz nicht zu Ende aussprechen - auch wenn eine verbotene Regung in ihr sich danach sehnte -, denn Worte besitzen Macht, und das wusste Eliza besser als die meisten Menschen. Sie hatten schon zu viele Gefühle zugelassen, und Gefühle waren in ihrem Arrangement nicht vorgesehen.
Sie schüttelte leicht den Kopf, und schließlich nickte er. Starrte vor sich hin auf den Tisch. Und während er schweigend an seinen Skizzen arbeitete, unterdrückte Eliza den überwältigenden Drang, ihm zu sagen, dass sie es sich anders überlegt hatte.
Nachdem er in jener Nacht fortgegangen war, kamen Eliza die Wände des Cottage ungewöhnlich still und leblos vor. Sie fand ein Stückchen Karton, wo Nathaniel gesessen hatte, drehte es um und erblickte ihr eigenes Gesicht. Eine Zeichnung. Und plötzlich störte sie es überhaupt nicht mehr, auf Papier festgehalten zu werden.
Noch ehe ein Monat vergangen war, wusste Eliza, dass sie schwanger war. Ein unerklärliches Gefühl, nicht allein zu sein, selbst wenn niemand zugegen war. Als dann ihre Blutung ausblieb, hatte sie Gewissheit. Mary, die ihr Kind verloren hatte, war vorläufig wieder in Blackhurst eingestellt worden mit dem Auftrag, die Verbindung zwischen Haus und Cottage aufrechtzuerhalten. Als Eliza ihr mitteilte, dass wahrscheinlich ein neues Leben in ihr wuchs, schüttelte Mary seufzend den Kopf, dann machte sie sich auf den Weg, um Tante Adeline die Nachricht zu überbringen.
Eine Mauer wurde um das Cottage herum errichtet, damit niemand sehen konnte, dass Elizas Bauch immer dicker wurde. Im Dorf verbreitete man, Eliza habe Cornwall verlassen, und das Cottage verschwand aus den Augen der Welt. Die simpelsten Lügen sind die überzeugendsten, und diese Lüge wurde von allen akzeptiert. Es war allgemein
bekannt, dass Eliza schon lange davon träumte, auf Reisen zu gehen. Den Leuten fiel es nicht schwer zu glauben, dass sie ohne ein Wort des Abschieds aufgebrochen war und zurückkehren würde, wenn die Zeit dafür reif war. Mary
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