Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
wurde jeden Abend mit Lebensmitteln zu ihr geschickt, und Dr. Matthews, Tante Adelines Arzt, suchte sie jede zweite Woche im Dunkel der Nacht auf, um sich des positiven Verlaufs der Schwangerschaft zu vergewissern.
Während ihrer neunmonatigen Gefangenschaft bekam Eliza kaum jemand anderen zu Gesicht, und dennoch fühlte sie sich nicht allein. Sie sang dem Kind in ihrem Bauch Lieder vor, erzählte ihm Geschichten, hatte merkwürdige und lebhafte Träume. Das Cottage schien zu einem warmen, alten Mantel um sie herum zu schrumpfen.
Und der Garten, ein Ort, an dem Elizas Herz immer jubiliert hatte, war prächtiger denn je. Die Blumen dufteten süßer, leuchteten bunter, wuchsen schneller. Einmal, als Eliza unter dem Apfelbaum saß und warme Sommerluft sie liebkoste, fiel sie in tiefen Schlaf. Sie träumte so lebendig, als hätte sich ein durchreisender Fremder neben ihr niedergelassen und ihr seine Geschichte ins Ohr geflüstert. Sie handelte von einer jungen Frau, die ihre Ängste überwand und zu einer langen, beschwerlichen Reise aufbrach, um einem geliebten alten Menschen die Wahrheit zu enthüllen.
Eliza erwachte in der Gewissheit, dass der Traum wichtig war und dass sie ihn in ein Märchen einweben musste. Anders als die meisten Trauminspirationen brauchte sie die Geschichte nur wenig zu ändern. Auch das Kind in ihrem Bauch war zentraler Bestandteil der Geschichte. Eliza hätte nicht erklären können, warum, aber sie war sich auf eigenartige Weise ganz sicher, dass das Kind eine wichtige Rolle spielte, ja, dass sie es ihm verdankte, dass sie die Geschichte so klar und vollständig in Erinnerung behalten hatte.
Noch am selben Nachmittag schrieb Eliza die Geschichte auf und gab ihr den Titel: Die Augen des alten Weibleins . Während der folgenden Wochen fragte sie sich immer wieder, wer die traurige alte Frau sein mochte, der man die Wahrheit geraubt hatte. Auch wenn sie
Nathaniel seit jener letzten Nacht nicht mehr gesehen hatte, wusste Eliza, dass er immer noch an den Illustrationen zu ihrem Buch arbeitete, und sie sehnte sich danach, die Gestalten zu sehen, zu denen ihr neuestes Märchen ihn inspirieren würde. Eines Abends, als Mary ihr wie gewohnt die Lebensmittel brachte, erkundigte Eliza sich nach ihm. Um einen beiläufigen Ton bemüht, fragte sie Mary, ob sie ihm wohl ausrichten könne, er möge sie demnächst noch einmal besuchen. Doch Mary schüttelte nur den Kopf.
»Mrs Walker wird es nicht zulassen«, sagte sie leise, obwohl sie allein im Cottage waren. »Ich habe gehört, wie sie sich bei der Mistress bitterlich beklagt hat, und dann hat die Mistress gesagt, es gehört sich nicht, dass er durch das Labyrinth zu Ihnen kommt. Erst recht nicht nach allem, was geschehen ist.« Sie betrachtete Elizas dicken Bauch. »Sie findet, man darf die Dinge nicht durcheinanderbringen.«
»Aber das ist doch lächerlich«, erwiderte Eliza. »Nathaniel und ich, wir lieben Rose beide, wir haben doch nur getan, worum sie uns gebeten hat, um ihr ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.«
Mary, die nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten hatte über das, was Eliza getan hatte und was sie zu tun beabsichtigte, wenn das Kind erst einmal geboren war, hüllte sich in Schweigen.
Eliza seufzte frustriert. »Ich möchte einfach nur mit ihm über die Illustrationen zu meinen Märchen sprechen.«
»Auch darüber ist Mrs Walker gar nicht erfreut«, sagte Mary. »Ihr gefällt es nicht, dass er für Ihre Geschichten zeichnet.«
»Was kann sie denn dagegen haben?«
»Eifersüchtig, das ist sie, wie verrückt. Sie erträgt es nicht, dass er seine Zeit und Energie opfert, um über Ihre Geschichten nachzudenken.«
Von da an wartete Eliza nicht mehr auf Nathaniel, gab jedoch Mary die handschriftliche Version von Die Augen des alten Weibleins mit, die - gegen jede Vernunft, wie sie sagte - versprach, sie ihm zu übergeben. Einige Tage später brachte ein Kurier ein Geschenk, eine Statue für ihren Garten. Es war ein kleiner Junge mit einem engelhaften
Gesicht. Auch ohne den Begleitbrief zu lesen wusste Eliza, dass Nathaniel dabei an Sammy gedacht hatte. In dem Brief entschuldigte er sich dafür, dass er sie nicht besuchte, erkundigte sich nach ihrer Gesundheit, dann kam er ohne Umschweife darauf zu sprechen, wie sehr ihm die neue Geschichte gefiel, wie ihre Magie ihn beschäftigte, und dass er an nichts anderes mehr denken könne als an die passenden Illustrationen.
Rose besuchte sie einmal im Monat, aber Eliza empfing
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