Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
hervor.
Adeline, die bereits krampfhaft nach einer Lösung suchte, beachtete ihn nicht. Natürlich durfte niemand vom Dienstpersonal etwas erfahren. Aber die Bediensteten glaubten sowieso alle, dass Eliza Cornwall verlassen hatte, nachdem sie erfahren hatte, dass Rose und Nathaniel planten, nach New York überzusiedeln. Es war ein Segen, dass Eliza so oft von ihrem Wunsch gesprochen hatte, eine große Reise zu unternehmen.
»Was ist mit dem Kind?«, fragte Linus noch einmal. Mit zitternden Fingern fummelte er an seinem Kragen herum. »Mansell muss die Kleine finden, das Schiff ausfindig machen. Wir müssen sie wiederbekommen, sie muss gefunden werden.«
Adeline schluckte ihren Abscheu herunter, als sie seine schlaffe Gestalt betrachtete. »Warum?«, fragte sie kühl. »Warum muss sie gefunden werden? Was bedeutet sie uns schon?« Dann beugte sie sich vor und flüsterte: »Begreifst du denn nicht? Wir sind frei.«
»Sie ist unsere Enkelin.«
»Aber sie ist nicht von unserem Blut.«
»Sie ist von meinem Blut.«
Adeline überhörte seine Antwort. Sie hatte keine Zeit, sich mit solchen Sentimentalitäten abzugeben. Nicht jetzt, wo sie endlich in Sicherheit waren. Sie wandte sich ab und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Wir werden den Leuten erzählen, dass das Kind an Scharlach erkrankt war, als wir es endlich hier auf dem Anwesen gefunden haben. Das wird kein Misstrauen erregen, denn wir hatten ja schon verlauten lassen, dass sie krank im Bett liegt. Wir werden dem Dienstpersonal erklären, dass nur ich allein sie pflege, dass Rose es so gewollt hätte. Und nach einer Weile, wenn alle Welt glaubt, dass wir alles darangesetzt haben, die Krankheit zu bekämpfen, wird es eine feierliche Bestattung geben.«
Ja, Ivory würde ein Begräbnis bekommen, wie es sich für eine geliebte Enkelin geziemte, aber Adeline würde dafür sorgen, dass Eliza schnell und unbemerkt beseitigt wurde. Auf keinen Fall würde sie auf dem Familienfriedhof beigesetzt werden, so viel stand fest. Der gesegnete Boden, in dem Rose ihre letzte Ruhe gefunden hatte, würde nicht besudelt werden. Sie musste irgendwo begraben werden, wo sie niemand finden konnte. Wo niemand jemals nach ihr suchen würde.
Am nächsten Morgen ließ Adeline sich von Davies durch das Labyrinth führen. Ein grässlicher, feuchter Ort. Der Geruch nach modrigem Unterholz, das nie einen Sonnenstrahl abbekam, war überwältigend. Der Saum ihres schwarzen Trauerkleids schleifte über den Boden, und abgefallene Blätter blieben wie Kletten daran hängen. Sie sah aus wie ein riesiger schwarzer Vogel, der seine Federn aufplusterte, um den kalten Winter zu überstehen, der sich seit Roses Tod über sie gelegt hatte.
Als sie den ummauerten Garten erreichten, schob Adeline Davies beiseite und ging mit schnellen Schritten über den schmalen Gartenpfad. Kleine Vögel flogen auf und zwitscherten wütend in ihren neu gefundenen Verstecken. Sie ging so schnell, wie die Etikette es gerade noch erlaubte, bestrebt, sich nur so lange wie unbedingt nötig an diesem verfluchten Ort aufzuhalten, dessen Geruch nach dampfender Fruchtbarkeit ihr die Sinne betäubte.
Am hinteren Ende des Gartens blieb Adeline stehen.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Sie hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte.
Ein Schauder überlief sie, dann drehte sie sich um. »Ich habe genug gesehen«, sagte sie. »Meine Enkelin ist schwer krank, und ich muss wieder zurück an ihr Bett.«
Als Davies sie einen Moment zu lange anschaute, machte sich
plötzlich ein Gefühl der Beklommenheit in ihrer Brust breit. Entschlossen schob sie es beiseite. Was konnte er schon von ihren Plänen wissen? »Führen Sie mich zurück zum Haus.«
Auf dem Rückweg durchs Labyrinth hielt Adeline sich einige Schritte hinter dem grobschlächtigen Mann. Alle paar Meter zog sie die Hand aus ihrer Rocktasche und ließ ein paar glitzernde Steinchen aus Ivorys Sammlung fallen, die sie im Kinderzimmer gefunden hatte.
Der Nachmittag wollte einfach nicht vergehen, die Abendstunden zogen sich in die Länge, aber dann war es endlich Mitternacht. Adeline erhob sich von ihrem Bett, zog ihr Kleid und ihre Schnürstiefel an. Schlich auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, durch den Korridor und in die Nacht hinaus.
Es war Vollmond, und sie hielt sich im Schatten der Bäume und Sträucher, als sie den Rasen überquerte. Das Tor zum Labyrinth war geschlossen, aber es bereitete Adeline keine Mühe, das
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