Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
Fingerspitzen, während sie darauf wartete, dass ihre Mutter den Deckel entfernte. In den letzten Tagen waren Mamas Bewegungen unbeholfen geworden, zudem klebte der Deckel an einem Wachsrand fest. Doch schließlich gelang es ihr, ihn zu lösen.
Eliza blieb vor Verblüffung beinahe das Herz stehen. Sie hatte so viele Fragen, und dennoch brachte sie kein einziges Wort heraus. In dem Krug befand sich eine Brosche, bei deren Anblick Mrs Swindell heiße Tränen über das verhärmte Gesicht gelaufen wären. Sie war so groß wie ein Penny, und der Rand war mit Edelsteinen besetzt, roten, grünen und funkelnden weißen.
Elizas erster Gedanke war, dass die Brosche gestohlen sein musste, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, dass ihre Mutter so etwas tun könnte. Aber wie sonst sollte sie in den Besitz eines solch prächtigen Schatzes gelangt sein? Wo konnte er herkommen?
So viele Fragen, doch Eliza wagte nicht, sie auszusprechen, und hätte sie etwas gesagt, hätte ihre Mutter sicher sowieso nichts gehört, denn sie war mit einem Gesichtsausdruck in den Anblick der Brosche versunken, den Eliza noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte.
»Diese Brosche bedeutet mir sehr viel«, stieß ihre Mutter hervor,
»sehr, sehr viel.« Sie drückte Eliza den Tonkrug in die Hand, so als könnte sie es nicht länger ertragen, ihn zu berühren.
Der glasierte Topf fühlte sich glatt und kühl an. Eliza wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Die Brosche, der seltsame Gesichtsausdruck ihrer Mutter … es kam alles so plötzlich.
»Weißt du, was das ist, Eliza?«
»Eine Brosche, Mama. Ich habe schon öfter elegante Damen gesehen, die so etwas tragen.«
Ihre Mutter lächelte schwach, sodass Eliza schon glaubte, die falsche Antwort gegeben zu haben.
»Oder vielleicht ein Anhänger? Der sich von der Kette gelöst hat?«
»Die erste Antwort war schon richtig, Eliza. Es ist eine Brosche, und zwar eine ganz besondere.« Sie rang die Hände. »Weißt du, was das ist hinter dem Glas?«
Eliza betrachtete das Muster aus rot-gold gewirkten Fäden. »Vielleicht eine Stickerei?«
Wieder lächelte ihre Mutter. »In gewisser Weise ja, aber nicht aus Fäden hergestellt.«
»Aber ich sehe die Fäden. Sie sind zu einer Schnur geflochten.«
»Es sind Haarsträhnen, Eliza, von den Frauen meiner Familie. Von meiner Großmutter, meiner Urgroßmutter und meiner Ur urgroßmutter. Das ist eine Tradition. Eine solche Brosche wird Trauerbrosche genannt.«
»Warum?«
Ihre Mutter streichelte zärtlich über Elizas Zopf. »Weil sie uns an diejenigen erinnert, die von uns gegangen sind. Die vor uns da waren und uns zu dem gemacht haben, was wir sind.«
Eliza nickte feierlich, weil sie spürte, auch wenn ihr nicht ganz klar war, warum, dass ihre Mutter ihr etwas Wichtiges anvertraute.
»Die Brosche ist sehr wertvoll, Eliza, doch ich habe es nie übers Herz bringen können, sie zu verkaufen. Ich bin immer wieder
Opfer meiner Sentimentalität geworden, aber das sollte dich nicht aufhalten.«
»Was meinst du damit?«
»Ich bin sehr, sehr krank, mein Kind. Eines Tages wirst du für Sammy und dich selbst sorgen müssen. Es könnte notwendig werden, die Brosche zu verkaufen.«
»Nein, Mama …«
»Es könnte notwendig werden, und du wirst dich entscheiden müssen. Lass dich nicht von meinen Gefühlen beeinflussen, hörst du?«
»Ja, Mama.«
»Aber wenn du sie verkaufen musst, Eliza, sei sehr vorsichtig. Sie darf nicht offiziell verkauft werden, es darf darüber keine Unterlagen geben.«
»Warum denn nicht?«
Ihre Mutter schaute sie an. Eliza kannte den Blick, so hatte sie Sammy schon oft angesehen, wenn sie überlegt hatte, wie viel sie ihm sagen konnte.
»Weil meine Familie es herausfinden würde.« Eliza schwieg. Es kam äußerst selten vor, dass ihre Mutter über ihre Familie oder über ihre Vergangenheit sprach. »Ich fürchte, meine Familie hat die Brosche als gestohlen gemeldet.«
Eliza hob erschrocken die Brauen.
»Fälschlicherweise, Liebes, denn sie gehört mir. Meine Mutter hat sie mir zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt, sie ist ein Erbstück, das sich schon lange im Besitz unserer Familie befindet.«
»Aber wenn sie dir doch gehört, warum darf dann niemand wissen, dass du sie hast?«
»Der Verkauf würde unseren Aufenthaltsort verraten, und das darf nicht geschehen.« Sie nahm Elizas Hand, die Augen geweitet, das Gesicht blass von der Mühe, die ihr das Sprechen bereitete. »Hast du das verstanden?«
Eliza nickte, sie
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