Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
sie könnten zur Familie gehören. Schließlich seien sie nur bezahlte Hilfskräfte, eher Bedienstete als Mieter. Eliza teilte Sammy eine Portion Eintopf zu, wobei sie jedoch ein Sieb über die Schalen hielt, wie Mrs Swindell es verlangte, weil sie das gute Fleisch nicht für so undankbare Taugenichtse vergeuden wollte.
»Du bist müde«, flüsterte Eliza. »Du bist heute Morgen schon so früh losgegangen.«
Sammy schüttelte den Kopf, er mochte es nicht, wenn sie sich Sorgen machte.
Eliza warf einen kurzen Blick zu Mrs Swindell hinüber, vergewisserte sich, dass sie ihnen immer noch den Rücken zukehrte, und gab ein kleines Stückchen Haxe in Sammys Schale.
Er schaute Eliza mit seinen großen Augen an und riskierte ein zaghaftes Lächeln. Als sie ihn so dasitzen sah, mit hängenden Schultern von der schweren Arbeit, das Gesicht voller Ruß aus den Schornsteinen reicher Leute, dankbar für ein Stückchen ledriger Haxe, hätte sie seinen schmalen Körper am liebsten in die Arme genommen und ihn nie mehr losgelassen.
»Sieh mal einer an, was für ein rührender Anblick«, sagte Mrs Swindell und klappte den Deckel der Schatulle zu. »Der arme Mr Swindell muss sich da draußen abrackern und nach was Verwertbarem im Schlamm wühlen, bloß um eure undankbaren Mäuler zu stopfen« - sie fuchtelte mit ihrem knubbligen Finger vor Sammys Nase -, »während so ein Rotzbengel wie du in seinem Haus herumlungert. Das kann ja wohl nicht angehen, und das dulde ich nicht, lass es dir gesagt sein. Wenn diese Wohltäterinnen das nächste Mal hier auftauchen, bist du reif.«
»Hat Mr Suttborn morgen wieder Arbeit für dich, Sammy?«, fragte Eliza hastig.
Sammy nickte.
»Und übermorgen?«
Wieder nickte er.
»Das sind noch mal zwei Goldmünzen diese Woche, Mrs Swindell.«
Wie gut es ihr gelang, ihrer Stimme einen unterwürfigen Ton zu verleihen!
Und wie wenig es nützte.
»Frechheit! Wie kannst du es wagen, Widerworte zu geben? Wenn Mr Swindell und ich nicht wären, hätten sie euch Rotznasen längst ins Armenhaus gesteckt und würden euch dort die Fußböden schrubben lassen.«
Eliza holte tief Luft. In einer der letzten Anstrengungen, die ihre Mutter vor ihrem Tod unternommen hatte, war es ihr gelungen, Mrs Swindell die Zusicherung abzuringen, dass Sammy und Eliza als Mieter weiterhin unter ihrem Dach bleiben könnten, solange sie die Miete aufbrachten und Haushaltsgeld zahlten. »Aber Mrs Swindell«, erwiderte Eliza vorsichtig, »Mutter hat gesagt, Sie hätten sich verpflichtet …«
»Verpflichtet? Verpflichtet?« In ihren wutverzerrten Mundwinkeln bildeten sich Speichelbläschen. »Ich besorg dir gleich verpflichtet. Ich habe mich dazu verpflichtet, dir den Hintern zu
versohlen, bis du nicht mehr sitzen kannst.« Sie sprang auf und langte nach einem Lederriemen, der neben der Tür hing.
Eliza blieb tapfer stehen, auch wenn ihr Herz wie verrückt klopfte.
Mrs Swindell trat einen Schritt vor, dann blieb sie plötzlich stehen, und ein grausamer Zug legte sich um ihren Mund. Wortlos drehte sie sich zu Sammy um. »Du da«, sagte sie. »Komm her.«
»Nein«, rief Eliza mit einem Blick in Sammys Richtung. »Nein, es tut mir leid, Mrs Swindell. Es war wirklich unverschämt von mir, Sie haben recht. Ich … ich werde es wiedergutmachen. Morgen werde ich im Laden Staub wischen und die Eingangstreppe schrubben. Ich werde … ich werde …«
»Das Klo scheuern und den Dachboden von Ratten befreien.«
»Ja«, nickte Eliza. »Das mache ich alles.«
Mit beiden Händen zog Mrs Swindell den Riemen vor sich straff und blickte mit zusammengekniffenen Augen über den ledernen Horizont hinweg von Eliza zu Sammy. Schließlich ließ sie ein Ende los und hängte den Riemen wieder an seinen Platz neben der Tür.
»Danke, Mrs Swindell«, flüsterte Eliza, der vor Erleichterung beinahe schwindlig wurde.
Mit zittrigen Händen reichte sie Sammy die Schale mit Eintopf und ergriff die Schöpfkelle, um sich selbst eine Portion zu nehmen.
»Stopp!«, fauchte Mrs Swindell.
Eliza blickte auf.
»Du«, sagte Mrs Swindell und zeigte auf Sammy. »Du putzt die neuen Flaschen und räumst sie ins Regal. Eintopf gibt’s erst, wenn du damit fertig bist.« Dann wandte sie sich an Eliza. »Und du, verschwinde nach oben und mach, dass du mir aus den Augen kommst.« Ihre schmalen Lippen zitterten. »Du gehst heute Abend leer aus, zur Strafe für deine Aufsässigkeit.«
Als kleines Mädchen hatte Eliza sich oft vorgestellt, dass ihr Vater eines Tages
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