Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
fiel oder auf dem glitschigen Boden ausrutschte, unter die Wäschemangel geriet und zerquetscht wurde oder kopfüber in einen Waschbottich mit kochender Lauge stürzte und nur die dürren Beine als Beweis ihres grausamen Endes aus dem Bottich ragten …
Wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit. Um die Ecke zur Battersea Bridge Road bog Mrs Swindell, über der Schulter einen prall mit Diebesgut gefüllten Beutel. Sie kehrte zurück nach einem ertragreichen Tag, den sie mit der Jagd auf hübsch gekleidete kleine Mädchen zugebracht hatte. Eliza schob sich auf dem Regal von dem Mauerspalt weg und hangelte sich an der Schornsteinkante entlang auf den Fußboden hinunter.
Es war Elizas Aufgabe, die Kleider zu waschen, die Mrs Swindell mit nach Hause brachte. Manchmal, wenn sie die Sachen im heißen Waschwasser umrührte und achtgab, dass sie nicht die spinnennetzartige Spitze beschädigte, fragte sich Eliza, was die kleinen Mädchen wohl denken mochten, wenn sie Mrs Swindell näher kommen und mit der Konfekttüte wedeln sahen, der Tüte, die gefüllt war mit bunten Glasscherben. Nicht dass die Mädchen jemals nah genug an die Tüte herankamen, um die Täuschung zu durchschauen. Keine Sorge. Sobald sie die Mädchen erst einmal allein in eine Gasse gelockt hatte, riss Mrs Swindell ihnen die hübschen Kleidchen so schnell vom Leib, dass sie nicht einmal Zeit hatten zu schreien. Bestimmt hatten sie danach Albträume, dachte Eliza, so ähnlich wie sie selbst von Träumen verfolgt wurde, in denen Sammy in einem Schornstein stecken blieb. Einerseits taten ihr die Mädchen leid - Mrs Swindell auf der Jagd konnte Angst und Schrecken verbreiten -, andererseits waren sie selbst schuld. Was mussten sie auch so gierig sein und immer
noch mehr haben wollen, als sie sowieso schon besaßen. Eliza wunderte sich immer wieder darüber, dass junge Mädchen aus reichem Haus, die mit schicken Kinderwagen und Spitzenkleidchen aufwuchsen, Mrs Swindell wegen einer Tüte Süßigkeiten zum Opfer fielen. Sie konnten von Glück reden, dass sie nicht mehr als ein Kleidchen und ein bisschen Seelenfrieden verloren. In Londons dunklen Gassen konnte man weit schlimmere Verluste erleiden.
Unten im Haus wurde die Tür zugeschlagen.
»Wo steckst du denn, du Göre?« Die Stimme kam die Treppe heraufgerollt, ein heißer Ball aus Gift. Eliza zuckte zusammen, als sie begriff: Die Jagd war nicht erfolgreich gewesen, eine Tatsache, die für alle Bewohner des Hauses Battersea Bridge Road 35 nichts Gutes verhieß. »Komm runter und mach das Essen fertig, sonst setzt es eine Tracht Prügel.«
Eliza eilte die Treppe hinunter in den Laden. Ihr Blick glitt über die undeutlichen Silhouetten, ein Sammelsurium aus Flaschen, Schachteln und Kleidern, in der Dunkelheit auf bizarre geometrische Formen reduziert. Neben dem Tresen bewegte sich eine dieser Silhouetten. Wie eine Schlammkrabbe stand Mrs Swindell über ihre Tasche gebeugt und kramte Spitzenkleidchen hervor. »Steh nicht rum und glotz wie dieser Schwachkopf von deinem Bruder; zünd die Laterne an, du dummes Gör.«
»Der Eintopf steht auf dem Ofen, Mrs Swindell«, erwiderte Eliza und beeilte sich, die Gaslampe anzuzünden. »Und die Kleider sind schon fast trocken.«
»Das will ich auch hoffen. Schließlich ist Wäschewaschen deine einzige Beschäftigung, während ich mich tagein, tagaus da draußen abrackere, um ein bisschen Geld zu verdienen. Manchmal denke ich, ich wäre besser dran, wenn ich mich selbst darum kümmern und dich und deinen Bruder rauswerfen würde.« Sie seufzte angewidert und setzte sich auf ihren Stuhl. »Komm her und zieh mir die Schuhe aus.«
Während Eliza auf dem Boden kniete und die engen Schuhe lockerte, ging die Tür erneut auf. Es war Sammy, von Kopf bis Fuß schwarz vom Kohlenstaub. Wortlos streckte Mrs Swindell ihre knochige Hand aus.
Sammy wühlte in der Brusttasche seiner Latzhose. Zog zwei Goldmünzen hervor und gab sie gehorsam ab. Mrs Swindell beäugte sie misstrauisch, trat Eliza mit ihrem schweißfeuchten Fuß aus dem Weg und humpelte zu ihrer Geldschatulle. Mit einem schlitzäugigen Blick über die Schulter zog sie den Schlüssel aus der Brusttasche ihrer Bluse und steckte ihn in das Schloss. Legte die beiden Münzen zu den anderen und überschlug gierig schmatzend die Gesamtsumme.
Sammy trat an den Herd, während Eliza zwei Schalen holte. Sie aßen nie gemeinsam mit den Swindells. Damit die beiden, wie Mrs Swindell sich ausdrückte, nicht auf die Idee kamen,
Weitere Kostenlose Bücher