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Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden

Titel: Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Morton
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langsam. »Und Sie haben die ganze Zeit hier gewohnt. Seit …« Hastig rechnete sie es im Kopf aus. »Seit 1897?«
    »Seit Dezember 1897. Ich bin ein Christkind.«
    »Haben Sie noch Erinnerungen an damals? An Ihre Kindheit, meine ich.«
    Die Alte kicherte. »Manchmal kommt es mir so vor, als wären das die einzigen Erinnerungen, die ich überhaupt noch habe.«
    »Damals muss es hier völlig anders ausgesehen haben.«
    »Worauf du dich verlassen kannst«, sagte die Alte seufzend.

    »Die Frau, über die ich Informationen sammle, hat auch hier in dieser Straße gewohnt. Vielleicht können Sie sich an sie erinnern?« Nell öffnete den Reißverschluss ihrer Aktenmappe und nahm das Bild heraus, das sie aus dem Märchenbuch kopiert hatte. »So hat sie als Erwachsene ausgesehen. Als sie hier gewohnt hat, wird sie aber noch ein Kind gewesen sein.«
    Die alte Frau streckte eine knorrige Hand aus, nahm das Bild entgegen und kniff die Augen zusammen, sodass sich um ihre Augen tausend winzige Fältchen bildeten. Dann kicherte sie in sich hinein.
    »Sie kennen Sie?« Nell hielt den Atem an.
    »Ja, die kenne ich sogar sehr gut, und ich werde sie mein Lebtag nicht vergessen. Die hat mich immer halb zu Tode erschreckt, als ich noch klein war. Hat mir alle möglichen Gruselgeschichten erzählt, wenn meine Ma nicht da war und sie nicht fürchten musste, eine Tracht Prügel zu beziehen und aus dem Haus gejagt zu werden.« Sie schaute Nell fragend an und legte die Stirn in Falten. »Elizabeth? Ellen?«
    »Eliza«, sagte Nell hastig. »Eliza Makepeace. Sie ist später Schriftstellerin geworden.«
    »Davon weiß ich nichts, ich lese nicht viel. All die vielen Seiten - ist mir zu anstrengend. Ich weiß nur, dass das Mädchen auf dem Bild da Geschichten erzählt hat, die einem die Haare zu Berge stehen ließen. Am Ende hatten alle Kinder hier Angst im Dunkeln, und trotzdem sind wir immer wieder zu ihr gegangen, um uns noch mehr Geschichten erzählen zu lassen. Möchte wissen, wo sie all das her hatte.«
    Nell betrachtete noch einmal das Haus und versuchte, etwas von der jungen Eliza zu erspüren. Eine unverbesserliche Geschichtenerzählerin, die den kleineren Kindern mit ihren Gruselmärchen Angst einjagte.
    »Sie hat uns gefehlt, nachdem sie weggeholt wurde.« Die alte Frau schüttelte traurig den Kopf.

    »Ich hätte gedacht, Sie wären froh gewesen, dass sie Ihnen keine Angst mehr einjagen konnte.«
    »Ach was«, entgegnete die alte Frau. Ihre Lippen bewegten sich, als kaute sie an ihrem zahnlosen Gaumen herum. »Alle Kinder genießen es, sich ab und zu richtig zu gruseln.« Sie bohrte ihren Krückstock in eine Stelle an der Treppe, wo der Mörtel bröckelte, dann schaute sie Nell mit zusammengekniffenen Augen an. »Aber die Kleine selbst hat den größten Schrecken abgekriegt, viel schlimmer als alles, womit sie uns ins Bockshorn gejagt hat. Sie hat ihren Bruder verloren, im dichten Nebel. Keine einzige von den Geschichten, die sie uns erzählt hat, war so schlimm wie das, was ihm passiert ist. Es war ein großes, schwarzes Pferd, hat ihm mit den Hufen das Herz zerquetscht.« Die Alte schüttelte den Kopf. »Danach war sie nicht mehr dieselbe. Ist ziemlich durchgedreht, wenn du mich fragst. Hat sich die Haare abgeschnitten und angefangen, Hosen zu tragen, wenn ich mich recht erinnere!«
    Nell bekam Herzklopfen. Das war neu.
    Die alte Frau räusperte sich, zog ein Taschentuch hervor und spuckte hinein. Dann fuhr sie fort, als sei nichts geschehen: »Es ging das Gerücht, man hätte sie ins Armenhaus gesteckt.«
    »Nein, das stimmt nicht«, sagte Nell. »Sie wurde zu Verwandten nach Cornwall geschickt.«
    »Cornwall.« Im Haus begann ein Kessel zu pfeifen. »Dann hat sie’s also gut gehabt, was?«
    »Ich glaube schon.«
    »Na ja«, sagte die alte Frau mit einer Kopfbewegung in Richtung Küche. »Der Tee ist fertig.« Das klang so selbstverständlich, dass Nell einen Augenblick lang glaubte, die Alte würde sie zum Tee einladen und ihr noch viele weitere Anekdoten über Eliza Makepeace erzählen. Doch als die Tür langsam zuging, die Alte auf der einen und Nell auf der anderen Seite, löste sich die schöne Vorstellung in Wohlgefallen auf.

    »Warten Sie«, sagte sie und streckte eine Hand aus.
    Die alte Frau ließ die Tür einen Spaltbreit offen, während in der Küche der Kessel vor sich hin pfiff.
    Nell zog einen Zettel aus ihrer Handtasche und schrieb etwas auf. »Wenn ich Ihnen die Adresse und Telefonnummer meines Hotels gebe,

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