Der verborgene Garten - Der verborgene Garten - The Forgotten Garden
sie vor 1913 gestorben sein mussten.
Und wenn sie nun Nathaniel Walker unter dem Jahrgang 1913 im Who’s who nachschlug? Er hatte bestimmt einen eigenen Eintrag. Oder noch besser: Wenn ihre Theorie stimmte und er schon 1913 nicht mehr gelebt hatte, sollte sie lieber gleich im Who was who nachschlagen. Hastig trat sie an das lange Regal und zog den Band 1897-1915 heraus. Mit zitternden Fingern blätterte sie von hinten nach vorn. Z, Y, X, W. Da war er.
WALKER, Nathaniel James, * 22. Juli 1883, † 1. September 1913, Sohn von Anthony Samuel Walker und Mary Walker,17. Juli 1907 Hon. Rose Elizabeth Mountrachet †. Eine Tochter, Ivory Walker †.
Nell zuckte zusammen. Eine Tochter, das stimmte, aber wieso war sie als verstorben eingetragen? Sie war doch nicht tot, im Gegenteil, sie fühlte sich lebendiger denn je.
Plötzlich wurde Nell bewusst, wie überheizt die Bibliothek war, und sie konnte kaum noch durchatmen. Sie fächelte sich Luft zu und rieb sich den Nacken. Dann betrachtete sie noch einmal den Eintrag.
Was hatte das zu bedeuten? Sollten die sich etwa geirrt haben?
»Haben Sie sie gefunden?«
Nell blickte auf. Die Frau vom Empfangstresen. »Kann es passieren, dass hier falsche Angaben drinstehen?«, fragte Nell. »Kommt so was vor?«
Die Frau schürzte nachdenklich die Lippen. »Na ja, die Angaben basieren nicht gerade auf den verlässlichsten Quellen, würde ich sagen. Sie stammen von den beschriebenen Personen selbst.«
»Und was ist, wenn die Person tot ist?«
»Wie bitte?«
»Im Who was who werden doch nur Personen eingetragen, die bereits verstorben sind. Wer stellt denn in dem Fall die Informationen zur Verfügung?«
Die Frau zuckte die Achseln. »Die Angehörigen, nehme ich an. Das meiste wird wahrscheinlich von dem letzten Fragebogen übernommen, den der Verstorbene selbst ausgefüllt hat. Dann wird das Todesdatum hinzugefügt und fertig.« Sie wischte einen Fussel von einem Regalbrett. »Wir schließen in einer Stunde. Geben Sie mir Bescheid, falls ich Ihnen bei irgendetwas behilflich sein kann.«
Es war ein Fehler, das war alles. Das kam sicherlich häufig vor, schließlich kannte der Setzer in der Druckerei die Personen überhaupt nicht. Außerdem war es durchaus möglich, dass ein Setzer bei der Arbeit mal mit den Gedanken woanders war und aus Versehen ein Kreuz hinter einen Namen setzte. Ein Fremder, für tot erklärt für die Augen der Nachwelt?
Was auch immer da passiert sein mochte, sie wusste jetzt, wessen Tochter sie war - und sie war überaus lebendig. Jetzt brauchte sie nur noch eine Biografie von Nathaniel Walker zu finden, dann konnte sie beweisen, dass der Eintrag fehlerhaft war. Sie hatte jetzt einen Namen, sie war einst auf den Namen Ivory Walker getauft worden. Und wenn er ihr nicht vertraut erschien, wenn er ihr nicht passte wie ein alter Mantel, dann war das eben so. Auf das Gedächtnis war einfach kein Verlass, man konnte nie wissen, was haften blieb und was nicht.
Plötzlich fiel ihr das Buch ein, das sie auf dem Weg zur Tate Gallery gekauft hatte, ein Buch über Walkers Gemälde. Das enthielt garantiert eine Kurzbiografie. Sie nahm es aus ihrer Tasche und schlug es auf.
Nathaniel Walker (1883-1913) wurde als Sohn polnischer Einwanderer in New York geboren. Sein Vater schlug sich als Hafenarbeiter durch, während seine Mutter Wäsche in Auftrag nahm und sechs Kinder großzog. Nathaniels Kindheit war von Armut geprägt.
Zwei seiner Geschwister starben früh, und Nathaniel sollte eigentlich in die Fußstapfen seines Vaters treten und Hafenarbeiter werden, als einem Passanten ein Bild auffiel, das er in New York auf der Straße gezeichnet hatte. Der Mann, Walter Irving Junior, Erbe des Irving Ölkonzerns, ließ sich von Walker porträtieren. Unter den Fittichen seines Mentors entwickelte sich Nathaniel zu einem bekannten Mitglied der jungen New Yorker Gesellschaft. Auf einer Party in Irvings Haus im Jahr 1906 lernte Nathaniel Walker die Ehrenwerte Rose Mountrachet aus Cornwall kennen, die zu Besuch in New York weilte. Die beiden heirateten ein Jahr später auf Blackhurst, dem Anwesen der Mountrachets in der Nähe von Tregenna, Cornwall. Nach der Eheschließung und seiner Übersiedlung nach Großbritannien konnte Walker sein Ansehen weiter steigern. Den Höhepunkt seiner Karriere bildete im Jahr 1910 der Auftrag für ein Porträt von König Edward VII., das dessen letztes werden sollte.
Nathaniel und Rose Walker hatten eine Tochter, Ivory Walker, geboren 1909. Seine
Weitere Kostenlose Bücher