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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Nase.
    Göttin, betete ich, verleihe meinem Herzen Kraft, um meinen Weg zu finden.
    Ein Luftzug strich durch den Gang. Einen Augenblick lang hörte ich ein Kind lachen. Sollte mich das zum Weitermachen oder zur Umkehr bewegen?
    Ich ging achteraus. Niemand begegnete mir. Die breiteste Tür hinten würde die des Kapitäns sein, schätzte ich. Ich versuchte die zu meiner Linken. Ich rüttelte, aber sie war verschlossen. Ein eisernes Schloss befand sich unter dem Türgriff. Backbord gab es eine weitere, ebenfalls verschlossen. Ich vernahm ein Scharren dahinter.
    Das war er vermutlich. Ich zog das Banditenmesser und trat gegen die Tür. Sie sprang krachend auf, was nicht unbemerkt bleiben würde.
    Jetzt hatte ich nur noch Sekunden.
    Curry war bereits auf den Beinen. Er war nach Mutter Vajpais Beschreibung leicht zu erkennen, doch sie hatte nicht erwähnt, dass seine Augen zu denen am Schlüssel passten – eines war grün, das andere blau. Er hielt inne, als er mich sah, und die Pistole in seiner Hand senkte sich.
    »Sie schicken einen Jungen?«, fragte er in petraeanischer Sprache und lachte dann mit der gleichen Grausamkeit wie der Faktor, bevor ich ihn tötete.
    Angestaute Wut platzte aus mir heraus, und ihre Flut überschwemmte mich wie Lampenöl eine offene Flamme.
    Ich ließ mich nicht verspotten.
    In Kalimpura waren Feuerwaffen nahezu unbekannt. Selbst bei den an der Steinküste gefertigten kam es häufig vor, dass der Lichtblitz in der Pfanne den Benutzer blendete. Einige der besten handgefertigten Feuerwaffen jedoch funktionierten nach einem anderen System von Patronen und Kugeln. Das wusste ich von Mutter Vistha. Selbst gesehen hatte ich nie eine.
    Currys Pistole besaß keine Pfanne, es musste also eine von den neuen sein.
    Um mein Risiko zu vermindern, sprang ich direkt auf die Waffe zu. Mutter Vajpai hätte die Feuerwaffe erwähnen können, dachte ich in dem Moment, als Curry und ich zusammenprallten. Ich knickte sein Handgelenk nach hinten und zwang ihn, die Pistole fallen zu lassen, während der Schuss losging. Der Knall war betäubend, doch das Geschoss traf mich nicht. Curry fiel mit einem verwirrten Ausdruck zu Boden und schlug gegen den messingbeschlagenen Schrank hinter seinem Schreibpult.
    »Du hättest der Aufforderung Folge leisten sollen«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen in Petraeanisch, sodass er mich verstehen konnte.
    Er starrte mich wütend an, als mein Banditenmesser hinter seinem Schlüsselbein eindrang und sich nach unten bohrte. Es bedurfte größerer Kraft, als ich erwartet hatte – Menschen besaßen eine dünnere Haut als Schweine, hatte ich gelernt – aber ich konnte spüren, dass ich sein Herz traf.
    In diesem Augenblick lernte ich, dass ich töten konnte, wenn es erforderlich war, auch wenn ich es später bedauern mochte.
    »Du bist diejenige, die …«, begann er. Dann war er nur noch totes Fleisch.
    »Diejenige, die was?«, knurrte ich, aber meine Worte waren müßig. Ich hörte Stimmen am Gang draußen, als ich mein Messer herauszog. Blut floss aus der Wunde, aber nicht mit demselben Druck wie bei einem Lebenden. Ich wischte mein Messer an seinem Hemd ab, dann zog ich den Schlüssel heraus und durchschnitt den seidenen Perlenfaden.
    Wenn ich ihn nach Hause brachte, würde jemand im Rohrdommelhof, der das eingefädelt hatte, vom Tod dieses Mannes profitieren. Gesetz ist Gesetz, wie sie sagten. Eine Klinge urteilt nicht.
    Mit meinem Messer bohrte ich seine ungleich gefärbten Augen aus ihren Höhlen. Ich durchschnitt die Sehnerven, dann schnitt ich ein Stück Samt aus seinem Ärmel und wickelte die Augen darin ein. Danach riss ich den Vorhang hinter ihm herunter und fand ein Bullauge, wie ich gehofft hatte. Ich würde mir den Rückweg zum Kai nicht erkämpfen müssen, wo jemand bereits Currys Namen rief.
    Das Fenster war schmal und rechteckig. Mit dem Griff von Currys Pistole zerschlug ich das Bleiglas. Die Waffe fiel in den Hafen. Ich war schlank genug und folgte hinterher, mit seinen Augen in der einen Faust und dem Messer in der anderen. Den Schlüssel hielt ich mit den Fingern, sodass ihn mir das Wasser entriss, als ich ein gutes Dutzend Fuß unterhalb der Reling in die Fluten prallte.
    Nicht anders als in meiner frühen Kindheit entfernte ich mich mit Schwimmstößen wie ein Frosch von der Krähenschwinge . Ich glitt unter Arvanis Pier, der einen Bogen bildete, um die Flut durchzulassen. Es war weniger eine Brücke als ein Abwasserkanal, aber das reichte aus. Mit dem

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