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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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hatte, aber bei Mutter Vajpai konnte es ebenso gut auch das Gegenteil bedeuten. Zwei ausländische Matrosen mit bronzefarbener Haut stapften mit lüsternen Blicken auf uns zu, doch drei Bettler zogen sie rasch von uns fort.
    Niemand in ganz Kalimpura würde eine Dienerin der Liliengöttin auch nur anspucken. Priester und ihre Helfer galten allgemein als ehrwürdig, die Klingen jedoch wusste kaum jemand wirklich einzuordnen, was gewiss auch dazu beitrug, dass sie außerordentlich gefürchtet waren.
    »Die Zeit ist gekommen, da du dich entscheiden musst, welchen Weg du nehmen wirst«, setzte Mutter Vajpai das Gespräch fort, als wäre keine Zeit verstrichen. »Ein Fall von
    Tötungsrechtsverletzung ist uns vom Hof der Rohrdommel vorgelegt worden. Er betrifft einen Mann aus Copper Downs, der zwei Männer der Straßengilde tötete und sich der rechtlichen Schlichtung mit der Begründung entzog, dass er ein Ausländer sei.«
    Der Hof der Rohrdommel vertrat die Kaimeister und Lagerhausmänner und Kerzenmacher dieser Kais, ebenso die Hafenangelegenheiten, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Schiffergilde fielen. Der betreffende Petraeaner musste zu einem Schiff gehört haben, das im Bereich des Rohrdommelhofes angelegt hatte, sonst hätte es keine Rohrdommelanhörung gegeben.
    »Warum hat die Straßengilde nicht selbst eingegriffen?«, fragte ich. »Sie hätte den meisten Grund, und das Tötungsrecht wäre nicht schwer zu verhandeln.«
    »Das Verhalten der Opfer wirft kein gutes Bild auf ihre Gilde«, erwiderte sie. »Und es ist eine Sache des Rohrdommelhofes, weil das Schiff des Mörders im Hafen liegt.«
    Was bedeutete, dass sich die glücklosen Schläger einen Fremden zum Schikanieren ausgesucht hatten, der sich als gefährlicher herausstellte, als sie dachten. Aber der Petraeaner war der Aufforderung des Rohrdommelhofes nicht gefolgt und so wegen grundloser Verletzung des Tötungsrechtes verurteilt worden.
    »Wäre es nicht einfacher, jemanden zu senden, der ihn überzeugt, vor dem Hof auszusagen?«
    »Wir richten nicht, Green«, sagte sie scharf. »Es ist nicht die Aufgabe der Klingen, einen Rat zu erteilen, außer in den unmittelbaren Angelegenheiten unseres Ordens. Sollte die Göttin zu beraten wünschen, wird sie eine der Mütter des justiziarischen Ordens bewegen, den Mann aufzusuchen.«
    Das wusste ich schon, bevor ich fragte. Es erschien mir unfair, einen Mann zu töten, der gar nicht wusste, dass er zum Tode verurteilt war.
    »Und ich?«
    »Es ist jetzt Zeit für dein letztes Petalum. Du bist die einzige Anwärterin, die Petraeanisch spricht. Das könnte von Vorteil sein, wenn man dich während des Einsatzes entdecken oder fragen sollte – du könntest den Verdacht einen entscheidenden Augenblick lang zerstreuen, was den anderen Mädchen nicht möglich wäre.«
    »Und nur wenigen von den geweihten Klingen«, stellte ich fest.
    »Da hast du Recht.«
    Wir umrundeten die Statue Mahachelais auf seinem Pferd der Schädel und folgten der Avenue der Schiffe in die andere Richtung. Arvanis Pier lag vor uns. Die Gasse in der Menge öffnete sich für uns wie immer, aber es war mir schon lange nicht mehr so bewusst gewesen.
    »Ich muss also an Bord des Schiffes gehen, einen Mann finden und ihn für ein Verbrechen töten, das er nicht versteht, da er glaubt, in Selbstverteidigung getötet zu haben.«
    »Nein«, korrigierte sie mich. »Du wirst den Willen der Göttin und das Urteil nach den Gesetzen und Gepflogenheiten Kalimpuras zum Ausdruck bringen.«
    Die wimmernden Bitten des sterbenden Banditen verfolgten mich längst nicht mehr in meine Träume, aber ich erinnerte mich noch mit aller Deutlichkeit an das Brechen von Mistress Tirelles Genick. In den Trainingsstunden hatten wir einander angegriffen, hatten Strohpuppen angegriffen, Holzattrappen, quietschende Schweine, Hunde, erst mit gezogenen Reißzähnen, dann mit allen ihren Zähnen. Ich hatte Blut verloren und Blut vergossen und es bei anderen und bei mir selbst gestillt.
    Mistress Tirelle stand jetzt klar und deutlich in meiner Vorstellung – der Speichel auf ihrem Gesicht, der Aufprall ihres Körpers auf den Steinen des Granatapfelhofes. Würde ich es ein drittes Mal tun? Würde ich zu meiner Aufgabe machen, was aus Furcht und Verzweiflung begonnen hatte?
    Würde ich eine Klinge sein?
    Werde ich hierher gehören?
    »Wer ist dieser Mann, und wie sieht er aus?«, fragte ich. Einen kurzen schwindelerregenden Moment stellte ich mir vor, dass mich die

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