Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
waren ausgefüllt genug, und ich glaube, ich erwartete irgendwie, dass mir die Göttin den Weg zeigen würde. Die Nadel meines Kompasses kam eine Weile nicht zur Ruhe.
Unten auf der Avenue der Schiffe, an einem warmen, verregneten Mittwoch, dem Tag des Festes der Kohlendämonen, sprach die Göttin wieder zu mir. Ich spürte diesmal ihre Gegenwart nicht so wie zuvor, aber die pelzige, langgliedrige Gestalt, die nicht weit von mir durch die Menge schritt, war unverkennbar.
Eine Steinküstengenette.
Ich hatte hier in Selistan noch nie jemanden dieser Rasse gesehen. Manchmal offenbarte die Göttin ihren Willen durch einen unglaublichen Zufall.
Als ich näher kam, erkannte ich, dass es die Tanzmistress war. Nur tief eingetrichtertes Verhalten ließ mich weitergehen, obgleich ich stehen bleiben und sie ansehen wollte. Sie trug weder Schuhe noch Handschuhe und hatte eine leichte Toga aus einem Netzgewebe übergeworfen. Eine Tasche hing über ihrer Schulter – fast wie sie in Copper Downs ausgesehen hatte, nur unserem Wetter angepasst.
Ich ging so nahe an ihr vorüber, dass ich sie hätte berühren können. Ihr Schritt stockte, als habe sie mich erkannt, doch ich war als Halsbrecher verkleidet und außerdem drei Jahre älter und größer als zu der Zeit, als sie mich zuletzt gesehen hatte. Eine kleine Gruppe von Bettlern und drängelnden Kindern schob sie weiter, sonst hätte sie sich nach mir umgedreht.
Zumindest in meiner Vorstellung.
Was machte sie hier?
Ich folgte ihr noch ein Dutzend Schritte, dann ging ich um einen Poller herum und hielt mich auf Abstand. Ich konnte dieser Frau wesentlich geschickter folgen als sie mir. Besonders auf diesen Straßen. Das Kohlendämonenfest war in vollem Gang, überall waren Feuerwagen, rot und schwarz geschminkte Gesichter, Feuertöpfe aus glasierter Terrakotta mit ihren Regenaufsätzen.
Sie war eine kluge und vorsichtige Frau, aber diesem Chaos würde sie nicht gewachsen sein. Zumindest solange sie neu in der Stadt war.
Die Tanzmistress musste neu hier sein, wurde mir klar. Sonst hätte ich die Leute in den Tavernen über sie reden hören. Vermutlich sogar im Tempelklatsch. Als einer der Roten Männer von den Feuerseen in der kühlen Jahreszeit in die Stadt gekommen war, hatten sie tagelang von nichts anderem geredet.
Über eine Genette würden sie den ganzen Sommer lang reden.
Ich blieb auf Abstand und beobachtete die Menge um sie herum. Sie schritt dahin, wie es in Copper Downs üblich war, wenn man seinen Geschäften nachging und in Ruhe gelassen werden wollte. Ich erinnerte mich an das schiebende, drängelnde Chaos bei meiner Ankunft hier, bevor ich gelernt hatte, mich unter den Kalimpuri zu bewegen. Ich erinnerte mich auch, wie wenig die Tanzmistress es liebte, angefasst zu werden.
Sie zupften an ihrem Fell, bei der Göttin. Ich begann fast zu lachen. Sicher hatte noch keiner hier ihre Klauen gesehen oder ihre gefletschten Zähne, wenn sie wütend über etwas war.
Sie versuchte, um die Statue Mahachelais auf seinem Pferd der Schädel dicht am Sockel herumzugehen. Zwei der kleineren Bettlerkinder schlüpften zwischen den Granitsockel und den Schenkel der Tanzmistress. Sie stieß sie zur Seite, und die beiden begannen zu kreischen.
Da erkannte ich den Gebrochenen Flügel. Das war ein Bettlertrick, auf den Seeleute und Soldaten kaum hereinfielen, der aber gelegentlich bei Händlern oder Kapitänen in Begleitung ihrer Frauen Wirkung zeigte. Diese Unglücklichen konnten in Gegenwart ihrer Frauen nicht zu hartherzig sein. Während also ein Kind plärrte und vorgab, von einem Pferd oder der Kutsche verletzt worden zu sein, bestand das andere auf Zahlung einer kleinen Summe. Die würde es ihm erlauben, seinen Bruder gefahrlos nach Hause zu bringen. Andernfalls würde bald die Stadtmiliz hier sein, wenn der Herr ihm vergeben wolle.
Dass Kalimpura keine Stadtmiliz hatte und auch kein Interesse an der Aufrechterhaltung einer öffentlichen Ordnung, so wie die Steinküste das verstand, wusste nicht jeder Reisende in dem Moment, wo er sich einem verängstigten, weinenden Kind gegenübersah. Einige der Kleinen der Bettlerkaste waren so gut, dass sie den Gebrochenen Flügel bis zur Bezahlung durchzogen, selbst wenn der Begaunerte den Trick anfangs durchschaute. Das hatte ich selbst gesehen.
Die Tanzmistress machte den Fehler, sich umzudrehen und hinzuknien, um nachzusehen, was sie angerichtet hatte. Ich drängte mich mit einem Knurren durch die Menge, gerade, als ein
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