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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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die Gerüche änderten sich in Fäulnis und den unangenehm süßlichen Duft von verrottenden Früchten. Kein Wunder, dass die Affen kreischten. Sie waren betrunken von dem vergorenen Nahrungsangebot. »Ich handelte im Dienst dessen, was man mir als kalimpurische Gerechtigkeit erklärte.«
    Ein langes Schweigen folgte. Schließlich sagte die Tanzmistress: »Federo tut … tat … tut viele Dinge, die ich nicht verstehe. Der Einkauf von Kindern gehörte früher zu seinen Pflichten, als er in den Diensten des Faktors stand. Wie ich es hörte, kaufte er dich deinem Vater am Tor eures Hofes ab.«
    »Handel«, murmelte ich. »Das war nicht …«
    Sie unterbrach mich leise und mit Bedacht. »Handel ist nicht wie eine Schlange. Du kannst den Kopf abschlagen, selbst den Körper zerstören, alle Schiffe und Lagerhäuser verbrennen. Am nächsten Tag ist wieder irgendjemand da, der von vorn anfängt. Du kannst den Handel nicht umbringen. Nicht mit einer Klinge, nicht mit allem Grimm in deinem Herzen.«
    Ich spuckte über die Reling und erwiderte: »Ich bin keine Handelsware. Ich bin ein Mensch.«
    »Menschenhandel gibt es überall. Lehrzeit, Verlöbnis, Vereidigung von Soldaten, Anwerben von Matrosen.«
    »Sie entscheiden über ihre Zukunft.«
    »Green.« Ihr Ton wurde mitleidig. »Wie viele Bräute wählen den Mann, den sie heiraten? Wie viele Lehrlinge kennen jedes Gewerbe in ihrer Stadt und entscheiden, welches sie ausüben wollen? Die meisten Menschen haben nie eine Wahl. Sie werden erwählt, oder sie nehmen den Weg, der ihnen geblieben ist, nachdem ihnen die Möglichkeiten durch verpasste richtige Zeitpunkte oder unglückliche Umstände oder ihr eigenes Handeln oder die Taten anderer genommen wurden.«
    Ich wollte sie schlagen, wieder mit ihr kämpfen und ihr die Prügel ihres Lebens verpassen. Die Tanzmistress wusste gar nichts. Sie verstand nichts. Sie war gleichgültig.
    »Green.«
    Ich drehte mich um und starrte zum Heck. Der Mann am Ruder, dessen Namen ich noch nicht kannte, winkte und lächelte. Er schien unempfindlich gegen das Gewitter zu sein, das in meinen Augen toben musste. Oder das schwindende Licht der Dämmerung gaukelte ihm ein anderes Gesicht vor.
    »Green.« Sie berührte mich an der Schulter.
    Ich schwang mit geballter Faust herum und hielt im letzten Moment inne. »Was!?«
    »Du hast schon Recht. Nur ist alles nie so einfach, wie wir es gern hätten. Kinder sollten frei aufwachsen, um sich entwickeln und über ihr Leben bestimmen zu können. Das gilt auch für die Erwachsenen. Alle Menschen jeder Rasse und Art. Dass du erreichen möchtest, dass mehr Kinder zu Hause aufwachsen, ist ein wundervolles Ziel. Behalte es immer im Auge. Aber setz dich auch damit auseinander, was es alles bedeuten kann. Sollte das hübscheste Mädchen in einer Familie, die verhungern muss, zu Hause bleiben und mit den anderen verhungern? Was ist, wenn ihr durch den Verkauf ein angenehmes Leben zuteilwird und der Preis ihren Brüdern über die nächste Missernte hinweghilft?«
    Meine Tränen flossen weiter. »Das kann nicht richtig sein.«
    »Viele Dinge sind nicht richtig. Du kannst versuchen, einiges Unrecht wiedergutzumachen, aber nicht einmal die Titanen hätten alles Unrecht aus der Welt schaffen können. In ihrer Zeit barsten sie auseinander, und aus ihren Scherben entstanden alle Menschen dieser Welt. Jeder von uns trägt in sich Gutes und Böses. Es gibt nie genug Gutes, um das Böse zu verbannen, und es gibt nie genug Böses, um das Gute auszulöschen.«
    »Dann tut also niemand etwas.« Mein Herz wog so schwer. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Jedes Wort hinterließ ein bitteres Echo in meinem Mund.
    »Die Menschen tun, was sie können.« Ihr Griff an meiner Schulter wurde fest. »Als du in den Herzogspalast gegangen bist, hast du mehr Böses vernichtet, als eine ganze Generation von Kinderhändlern wieder ausgleichen könnte.«
    »Dieses Übel war nicht meines.« Ich fühlte mich ganz klein in meiner Scham und meinem Zorn. »Es war das deines Volkes und Copper Downs’.«
    »Nein, du trugst keine Schuld daran, und doch hast du gut gemacht, was du vermochtest.« Ihr Lächeln war weich im Licht des aufgehenden Mondes.
    »Warum bist du dann gekommen, mich zurückzuholen?«
    »Ich habe es dir bereits gesagt. Mehr Böses ist erwacht. Viele von uns glauben, dass dir der Sturz der alten Ordnung Macht in der neuen verleiht.«
    »Ich will keine Macht.«
    Sie sank auf die Knie. »Du könntest noch immer dieses Schiff verlassen

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