Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
richtete sich auf mich. »Du bist von den Küsten Selistans verbannt worden. Und von diesen Küsten wirst du verstoßen.«
Dann gab sie ihre Befehle an Mutter Vajpai. »Hüllt sie beide in Bettlerkleidung und führt sie zur Avenue der Schiffe. Dort werft ihr sie ins Meer und sorgt mit drei Trupps von Bogenschützenklingen dafür, dass sie nicht nach Kalimpura zurückkehren. Sollte eine von ihnen Hand oder Fuß wieder an Land setzen, durchbohrt sie mit einem Pfeil.«
Mutter Vajpai verneigte sich. »So wird es geschehen, Mutter.«
»Dies ist der Wille der Göttin«, rief die Tempelmutter.
Die Antwort erschallte vielstimmig und fast so laut, wie die Stimme der Göttin gewesen war: »Dies ist der Wille der Göttin.«
Noch nie hatte ich einen solchen Einsatz gesehen. So voll die Stadt auch immer war, fast vierzig Frauen mit Waffen in den Händen und Mordlust in den Augen bahnten sich einen Weg, auf dem man einen Elefanten treiben hätte können. Eine Gruppe Kämpfer in den Rohrdommelfarben wurde direkt vor dem Blutbrunnen zurückgedrängt. Ich sah auch eine Schar enttäuschter Männer der Straßengilde.
Wir stapften durch den späten Nachmittag wie die schwärzeste und gefährlichste Festprozession. Klingen und Gefangene folgten der Jaimurtistraße zur Avenue der Schiffe hinab. Die Menge löste sich auf, aber viele folgten in einiger Entfernung, um zu sehen, was es mit dem ganzen Rummel auf sich hatte. Alles, was auf den Straßen Kalimpuras geschah, war ein Schauspiel für irgendjemanden.
Ich beobachtete die Kinder hinter uns. Wie viele von ihnen waren bereits verkauft worden? Wie viele würden lange genug leben, um erwachsen zu werden? Wie viele musste ich zurücklassen?
»Green.«
Ich blickte zur Tanzmistress und spürte die Tränen in meinen Augen.
»Es ist nur eine Veränderung, nicht der Tod«, sagte sie. »Dein Weg liegt noch immer offen vor dir.«
Wir erreichten die Kais. Mutter Vajpai wurde auf die Schultern von Mutter Adhiti gehoben. Dort stand sie – ein Gleichgewichtstrick, den ich sie gelehrt hatte, dachte ich mit einem skurrilen Gefühl des Stolzes – und beobachtete das Hafengebiet. Eine Menge sammelte sich um uns, umringte meine eskortierenden Klingen mit aggressiven Rufen. Jemand warf einen verfaulten Fisch über die Köpfe der Klingen. Da ich nicht wagte, meine Hände abwehrend zu heben, traf mich das Geschoss mit einem nassen, stinkenden Schlag. Mutter Vajpai sprang von den Schultern und ordnete nach unserem Kämpferkodex an, zu kämpfen, wenn es sich nicht vermeiden ließ, aber niemanden zu töten. Dann deutete sie nach Osten, merkwürdigerweise gerade auf Arvanis Pier. Wir setzten unseren Weg unter heftigem Beschuss mit Obst, Fisch und Steinen fort.
Die Frauen verzichteten auf Gegenwehr, obgleich diese ein Leichtes für sie gewesen wäre. Aufruhr brach hinter uns los.
Ich erkannte den Sinn hinter Mutter Vajpais Plan rasch genug. Die Klingen besetzten den Sockel der Pier direkt am Wasser und schoben die Tanzmistress und mich auf die Steinzunge hinaus. Ein einzelner Trupp ging voraus, um den Weg freizumachen, und scheuchte alle, die dort arbeiteten, die Laufplanken hoch auf die Schiffe, die dort festgemacht waren.
»Ihr werdet am Ende der Pier springen.« Mutter Vajpai deutete voraus. »Die Klingen werden darüber wachen, wie befohlen. Aber dort müsst ihr keine geworfenen Pflastersteine befürchten.«
»Danke«, sagte ich, obgleich es mir dumm vorkam.
»Ich schlage vor, dass ihr rasch nach einem Kapitän sucht, der bereit ist, euch aufzufischen.« Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Ich würde es sehr bedauern, euch töten zu müssen.«
»Ich nicht weniger.«
Die Tanzmistress nahm meine Hand. Der Sinn von Mutter Vajpais Worten konnte ihr nicht entgangen sein.
Gefolgt von zwölf Bogenschützinnen, alles Frauen, die ich kannte und denen ich zum Teil sehr nahegestanden hatte, schritten die Tanzmistress und ich zum Ende der Pier. Die Relinge von einem Dutzend Schiffen, an denen wir vorbeigingen, waren dicht gedrängt mit Seeleuten, Hafenarbeitern, Freiwächtern und wüst schimpfenden Zahlmeistern und ihren Gehilfen, die Ordnung in das Chaos zu bringen suchten. Die Schaulustigen waren zu sehr damit beschäftigt, in einem Dutzend verschiedener Sprachen die Vorbeimarschierenden mit Gelächter und Gejohle zu begleiten.
Von diesem Spektakel würde man noch in Jahren in den Hafenspelunken reden. Ich winkte grinsend mit einer Tapferkeit, die ich nicht spürte.
Dann erreichten wir das Ende der
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