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Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Der verborgene Hof: Roman (German Edition)

Titel: Der verborgene Hof: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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oder an Land nimmt sie es mit euch allen auf.«
    Sie stöhnte erbärmlich, rollte sich aber herum und zeigte ihm die Krallen an ihrer linken Hand. Er wirkte beeindruckt, lachte dann aber. »Was immer du sein magst, eines ist sicher: Du bist verrückt.«
    »Immerhin haben sie dort drüben mindestens ein Dutzend Bogenschützen aufgeboten, um mich in Schach zu halten«, entgegnete ich ruhig. »Und ich koche sehr gut.«
    »Genug!«, rief Mutter Vajpai von der Kaizunge herüber. »Heute wird nicht gekämpft.« Sie warf einen kleinen Lederbeutel auf das Deck. Das Klirren klang dem Kapitän viel versprechend in den Ohren. »Ich heure dein Schiff für eine Fahrt nach Osten, bis Bhopura, wenn du mit deiner ganzen Besatzung, vor allem den beiden Neuen, sofort aufbrichst.«
    Er hob den Sack auf und öffnete ihn. Mit einem gierigen Grinsen erwiderte er: »Wir sind schon unterwegs.«
    Die Männer des Kapitäns ließen ein Boot ab, Wasser spritzte hoch auf, und unter lauten Rufen spannten sie ein Zugtau. Dann begann das Schiff, sich von der Anlegestelle wegzubewegen. Mutter Vajpai stand am Ende der Pier und machte mit ihren Händen das Zeichen der Lilie. Neben ihr winkte Mutter Gita mir wieder zu.
    Dann hatten wir den Hafen von Kalimpura im Rücken und glitten unter viel Fluchen und Geschrei hinaus aufs offene Meer.
    Utavi, der Kapitän des kleinen Küstenkauffahrers Chittachai , war einverstanden, uns ein gutes Stück östlich der Stadt ins Meer hinaus in die Schifffahrtsrouten zu bringen, wo wir auf ein anderes Schiff übersetzen wollten, das uns zur Steinküste bringen würde. Was Mutter Vajpai ihm für unsere Passage bezahlt hatte, wäre wahrscheinlich genug gewesen, das ganze Schiff zu kaufen.
    Die Tanzmistress und ich hatten wenig Gelegenheit, miteinander zu reden, solange wir in Küstennähe segelten. Das Deck der Chittachai war offen, abgesehen von einem kleinen Raum unter dem Heck und einem noch kleineren Raum unter dem kleinen Vorderdeck, den die Mannschaft zur Unterbringung der Ausrüstung nutzte.
    Nach einem Tag mit klarem Kopf an Bord zweifelte ich nicht daran, dass sie entweder einen versteckten, niedrigen Frachtraum oder übergroße Bilgen besaß. Diese Männer waren Schmuggler, die Waren an den Zoll- oder Steuerbeamten in den Häfen vorbeischipperten.
    Jetzt waren wir ihre Fracht.
    Wir mussten nun zwar nicht unmittelbar um unser Leben fürchten, waren aber nicht viel besser dran als zuvor auf Arvanis Pier. Wir hatten es warm und trocken und litten keinen Hunger, aber unsere Aussichten standen nun in keinem Verhältnis zu dem, was wir vorhatten. An den Abenden vermisste ich meine Glöckchenseide ein wenig, aber nicht allzu ernsthaft, mehr aus Gewohnheit. Alles wieder in meinem Gedächtnis nachzuzählen und die vielen Glöckchen erneut anzunähen wäre ohnehin mehr gewesen, als ich ertragen hätte.
    Wie schafften das die Frauen zu Hause? Indem sie ihr Leben kaum veränderten, natürlich. Wie Shar wurde dort eine Frau in einer Hütte geboren, hauste in einer zweiten mit dem Mann, der sie zur Frau nahm, und vielleicht in einer dritten mit einem ihrer Kinder, nachdem sie die Frau eines anderen Sohnes nicht in ihrer haben wollte. Und alle lebten sie kaum eine Meile voneinander entfernt.
    Für Mädchen, die übers Meer fuhren, war es unmöglich, die Tradition aufrechtzuerhalten. Ich beklagte meinen Verlust. Vielleicht bewahrten die Klingen die Seide für meine Rückkehr auf. Wahrscheinlicher war jedoch, dass Samma sie verbrennen würde.
    Jeder Schritt, den ich bisher in die Richtung nach Hause tat, brachte mich nur weiter fort. So wie ich selbst weggebracht worden war.
    »Ich habe in Kalimpura einen Mann getötet«, erzählte ich der Tanzmistress am ersten Abend unserer Küstenfahrt.
    »Wann bist du eine Mörderin geworden?« Ihre Stimme klang traurig.
    Das bin ich nicht geworden, redete ich mir ein. Ich dachte an Michael Currys Überraschung, als das Lebenslicht aus seinen Augen schwand. »Du hast mich gelehrt, gegen das Unrecht in der Welt zu Felde zu ziehen.« Diese Entschuldigung klang selbst in meinen Ohren verlogen.
    »Und der Mann, den du getötet hast? War er verantwortlich für Unrecht in der Welt?«
    »Nein.« Ich konzentrierte mich auf einen Holzsplitter an der Reling. Affen kreischten in den dunklen Bäumen ein paar Hundert Meter nördlich von uns, wo der Wald hinter einer großen Sandbarriere bis an die Wasserlinie reichte. Der Abend brachte eine Drehung des Windes, was zu einer Kursänderung führte. Auch

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