Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Sonne am Firmament innezuhalten.
Er musterte mich. Seine Miene war ausdruckslos. Ich fragte mich, ob ich vielleicht knicksen oder ihn auf andere Weise hätte begrüßen sollen.
Sein abschätzender Blick verriet mir, dass ich keine Person für ihn war, sondern ein Ding, wie die Kutsche hinter ihm.
Dieser Mann begutachtete seine Geldanlage. Er sah keine Frau vor sich. Aber eines Tages wird er es tun.
Er war der eigentliche Urheber all meiner Probleme in diesem Leben. Die Hand dieses Mannes hatte Federos Fäden gezogen und den unsichtbaren Stock angeschoben, der Mistress Tirelle im Arsch bis hinauf zur Schädeldecke steckte.
Er ergriff mein Kinn und neigte meinen Kopf vor und zurück, wobei er mein Gesicht eingehend betrachtete. Dann strich er mir die Haare von den Ohren und inspizierte sie. Er nahm erst eine Hand, dann die andere, spreizte meine Finger, überprüfte ihre Länge und anschließend jeden Fingernagel einzeln. Er ging zweimal um mich herum, bevor er hinter mir stehen blieb.
Ein Pferd wieherte leise. Zwei Dutzend Männer atmeten laut. Ich blickte keinen von ihnen an. Unsere Blicke waren sich nie begegnet. Noch immer war ich nichts für ihn. Ich begann, mich zu fragen, was der Faktor hinter mir vorhatte, als er mir das grüne Kleid vom Körper zog.
Die plötzliche Kälte jagte eine Gänsehaut über meinen Rücken. Ich begann, heftig zu zittern, und Tränen stiegen mir jäh in die Augen. Für den Faktor war ich nicht einmal eine Geldanlage. Ich gehörte zu seinem Viehbestand.
Nach einer schrecklichen Weile nackt im Wind spürte ich seine Finger tastend auf meinen Hüften und meinen Hinterbacken. Er kam nach vorn, und sein prüfender Blick wanderte von den Knospen meiner Brüste bis hinunter, wo die Beine mit dem Unterleib verschmelzen.
Der Faktor nickte Mistress Tirelle im Schatten hinter mir zu. Er trat zu seiner Kutsche, dann wandte er sich um und begegnete endlich meinem Blick.
Der Wind hatte meine Tränen getrocknet, aber meine Augen brannten, und ich wusste, dass sie verräterisch gerötet sein würden, falls der Faktor auf die Idee käme, sie genauer zu untersuchen. Innerlich war ich hin- und hergerissen zwischen Wut und Scham. Man hatte mir allerdings gründlich beigebracht, beide Gefühle zu verbergen, und das tat ich auch. Ich ließ ihn in dem Glauben, dass es der kalte Wind war, der mich zittern ließ. Ich entgegnete seinen Blick, in dem mich etwas an das leblose graue Auge des Meeresungeheuers erinnerte, das mich vor der Küste meiner Heimat fast verschlungen hätte.
Hier war die Quelle seiner Macht oder wenigstens ein Fenster, das einen Blick ins Innere gestattete. Die seelenlosen Augen des Faktors waren nicht lebendiger, als die des Meeresungeheuers gewesen waren – verschleiert, unbewegt. Tot.
Meine Zähne schmerzten, als der Atem in meiner Brust flatterte. Der Faktor schien überhaupt nicht zu atmen, aber er holte Luft zum Sprechen.
»Smaragd«, sagte er klar und deutlich.
Dann verschwand er in einem Wirbel von Pferden und Männern und Waffengeklirr. Selbst mit Augenbinden wendeten die Wachen mit Pfiffen und Rufen ihre Pferde im perfekten Kreis. Sie bewegten sich wie Wasser, das in einen Abfluss fließt. Einige der Männer ritten mit erhobenen Waffen durch das Tor. Die Kutsche folgte und dann der Rest der Männer.
Einen Moment später war es, als wären sie nie da gewesen. Nur ein paar Haufen dampfenden Pferdemists kündeten noch von der Anwesenheit der Soldaten und ihrer Pferde. Das und der Aufruhr in meinem Herzen.
Nach einer Weile watschelte Mistress Tirelle zu mir heraus. Ich hörte ihre Schritte auf dem Pflaster, bevor sie um den Granatapfelbaum herumkam und mich in Augenschein nahm. Ihre Miene ließ das Lächeln erahnen, das sie nie ganz zuwege brachte. Sie schien fast zufrieden zu sein.
»Na also, Smaragd, du hast bestanden.«
»Smaragd.« Ich versuchte, das Wort auszusprechen, als wäre es ein Name. Mädchen war ein Name gewesen, der nichts bedeutete, der nur eine Beschreibung war. Er hatte mich Smaragd genannt, um mich als einen kostbaren Besitz zu kennzeichnen, mehr nicht.
In meiner Muttersprache wusste ich das Wort für Smaragd nicht. Ich beschloss, mich in dieser Sprache Green zu nennen. Ein passenderes Wort hatte ich nicht, aber es war ein Wort, das mir gehörte und nicht diesen Madenmenschen. Die kostbaren Besitztümer des Faktors würde ich mit Worten meiner unwürdigen Sprache verhöhnen.
Aber dies war andererseits auch die größte Veränderung für mich,
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