Der verborgene Hof: Roman (German Edition)
Blick erkennen, aber ich hatte keine Ahnung, wie man einen Kohlkopf auf dem Markt kaufte oder wo man einen Wagen mieten konnte. Eine feine Dame brauchte nicht alles zu wissen. Sie musste nur all die Dinge wissen, die ihrer Aufmerksamkeit wert waren.
Es gab noch andere Lücken. Keines von Mistress Danaes Büchern hatte Aufschluss über die jüngste Geschichte von Copper Downs gegeben. Hätte ich Septio nicht im Untergrund getroffen, wüsste ich nichts über die Götter der Stadt oder darüber, dass sie seit Jahrhunderten schwiegen. Der Herzog war innerhalb der Mauern des Granatapfelhofes ebenfalls nie ein Thema gewesen. Auch von ihm hatte ich erst auf meinen nächtlichen Ausflügen etwas erfahren.
Regierung, Handel, das Leben in der Stadt: Warum gewährte man einer angehenden feinen Dame darüber keinen Einblick? Das Haus des Faktors war ein Hort der Geheimnisse, den alle selbstquälerischen Fragen nicht lüften konnten.
In meiner Phantasie hatte ich über dreitausend Glöckchen an die Seide genäht. Die Liste der Misshandlungen, die ich erdulden musste, war so lang geworden, dass ich es schließlich aufgab, sie zu führen, und zu meinem ursprünglichen Entschluss zurückkehrte, diese Menschen eines Tages mit ihren eigenen Worten zu beherrschen. Die Worte meiner alten Sprache versuchte ich, mir tiefer einzuprägen. Zu viele hatte ich bereits verloren.
Früh an einem Morgen meines neunten Herbstes im Granatapfelhof lag ich im Bett und wünschte mir krampfhaft, dass meine Arme lang genug wären, dass ich meine Knöchel massieren könnte, ohne die Knie abzubiegen. Mistress Tirelle stürmte schnaufend wie ein Ochse in mein Zimmer. Ihr rundes Gesicht war dunkelrot und abstoßend wie ein angefaulter Granatapfel, und es glänzte von Schweiß.
Mein erster Gedanke war, was ich wohl wieder falsch gemacht hatte. Mein zweiter war eine klammheimliche Freude über ihr Elend.
»Aufstehen, aufstehen, du faules Ding!« Die Entenfrau riss die Decke von meinem Bett.
»Ich bin …«
Ein mörderischer Blick ließ mich verstummen. »Der Faktor wird in wenigen Minuten hier sein. Du musst dich ihm von deiner besten Seite zeigen.«
Es war noch immer finster draußen. Er konnte nicht so früh kommen. Nichts Wichtiges geschah vor der Dämmerung. In keinem Buch und keiner Geschichte und keiner Gerüchteküche, die ich kannte.
Ich blieb ruhig angesichts ihrer Furcht. Ich setzte mich auf und streckte mich. »Dann werde ich das grüne Seidenkleid tragen und mir die Zeit nehmen, mein Haar mit ein paar Tropfen Öl zu bürsten.«
Das Kleid hatte die Farbe von Federos Augen. Es brachte auch meine dunkelbraune Haut besonders zur Geltung. Ich trug mein Haar meist hochgesteckt, doch wenn ich es löste, reichte es mir bis zu den Schenkeln und brachte mir bewundernde Blicke von vielen der Frauen ein, mit denen ich zu tun hatte. Mistress Cherlise war besonders eingenommen davon. Sie hatte mir geraten, mein Haar nicht zu vernachlässigen und immer an die Wirkung zu denken, die es auf Männer haben würde.
»Ich werde dich nicht die Schlampe spielen lassen«, keuchte Mistress Tirelle. Sie hatte ihr fettes Gesicht dicht an meines geschoben, doch jetzt musste sie schon ihren Kopf ein wenig heben, um mir in die Augen zu starren.
»Es wird nicht viel anders als Federos Besuch sein.« In meiner Stimme schwang mehr Zuversicht als in meinem Herzen. Der Faktor war kein Freund oder Verbündeter. Im Gegenteil; er war der Mann, dem ich mit Haut und Haaren gehörte. Ich war ihm vollkommener unterworfen als jedes Pferd in seinen Ställen.
Die alte Wut erwachte.
Mistress Tirelle kniff mich schmerzhaft in die Wange. »Hör mir zu, Mädchen. Der Faktor ist nicht mit diesem albernen Laffen zu vergleichen. Wenn es ihn nicht gäbe, hätte niemand von uns etwas zu essen auf dem Teller oder ein Bett zum Schlafen. Sein Wort ist dein Leben. Federo …« Sie prustete, was ein abfälliges Lachen darstellen sollte. »Dieser Mann ist ein verschwenderischer Pfau, der in der Welt herumstolziert und um zukünftige Schönheit schachert.«
Er hatte einst um meine Schönheit geschachert. Jeden Bissen, den ich seither zu mir nahm, hatte ich dank des albernen Laffen vom Faktor erhalten. Wie immer sah mich Mistress Tirelle als die Empfängerin großer Gunst in diesem Haus. Diese Wohltäter, die aus dem kleinen Bauernmädchen eine feine Dame machten.
Die kleinen rebellischen Gedanken spielten keine Rolle. Wir verfielen in hektische Aktivität. Zuerst musste ich gewaschen werden,
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