Der verbotene Fluss
Clayworth ist keine Erfindung von mir, sondern ein wissenschaftlich belegtes, wenngleich seltenes Phänomen, das mit dem Begriff Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom bezeichnet wird. Namensgeber ist der für seine Lügengeschichten bekannte Baron Münchhausen. Die betroffenen Personen – in der Regel Mütter – erfinden die Krankheiten ihrer Kinder oder führen diese sogar gezielt herbei, um auf sich aufmerksam zu machen.
Belegen oder erhärten lässt sich die Diagnose unter anderem – so wie in meinem Roman –, wenn die Beschwerden der Kinder nachlassen, sobald sie längere Zeit von dem jeweiligen Elternteil getrennt sind. Dies deutet darauf hin, dass das Kind überhaupt nicht erkrankt ist oder aber die zuvor tatsäch lich vorhandenen Symptome nicht mehr auftreten, weil sie durch den fehlenden Kontakt nicht mehr künstlich erzeugt werden können.
Diese Störung wurde erstmals 1977 von dem englischen Kinderarzt Roy Meadow in der Fachzeitschrift The Lancet beschrieben, was natürlich nicht ausschließt, dass solche Fälle früher schon aufgetreten sind und nur nicht erkannt oder wissenschaftlich beschrieben wurden.
Nun aber zu dem Thema, das den eigentlichen Kern des Romans bildet und so typisch für die Zeit ist, in der er spielt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verzeichnet man einerseits eine Abwendung von der Religion, dem Glauben an einen Schöpfergott, und strebt nach wissenschaftlichen Antworten auf die elementaren Fragen. Charles Darwins Untersuchungen sind nur ein Beispiel von vielen für diese Strömung. Doch gleichzeitig besteht, vor allem in Großbritannien, ein ungeheures Interesse an Geistererscheinungen, spiritistischen Sitzungen, Telepathie, Telekinese, Medien, Tafelschreiben und vielem mehr. Die Menschen suchen nach dem, was hinter den erklärbaren, messbaren Phänomenen liegt, und geben sich nicht mit einer rein wissenschaftlichen Erklärung der Welt zufrieden.
Als Produkt dieser beiden im Grunde entgegengesetzten Strömungen entsteht 1882 die bis heute aktive Society of Psychical Research (http : / /www.spr.ac.u k / mai n / ). In ihr schließen sich Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fachrichtungen zusammen, um mithilfe überprüfbarer empirischer Methoden zu untersuchen, ob übernatürliche Phänomene existieren. Einigen Mitgliedern begegnet man auch in diesem Roman:
– Henry Sidgwick, einem der Gründer, Professor für Moralphilosophie an der Universität Cambridge
– seiner Frau Eleanor Sidgwick, Mathematikerin und Rektorin des Newnham College, Cambridge
– Sir Oliver Lodge, Physiker
– Frederick Myers, Dichter, Kritiker und Essayist
– Richard Hodgson, Jurist
Auch das Medium Leonora Piper ist eine historische Persönlichkeit, der man nie einen Betrug nachweisen konnte.
Bei einem Besuch in London habe ich mir eine Demonstration der Spiritualist Association of Great Britain (http://www.sagb.org.u k/ ) angeschaut, die mich nicht zum Spiritismus bekehrt, aber mehr als einmal in Staunen versetzt hat.
Im Roman gebe ich keine eindeutige Antwort auf die stets wiederkehrende Frage, ob es Geister gibt. Persönlich glaube ich nicht daran. Allerdings halte ich es für möglich, dass es Erlebnisse gibt, die sich rein rational nicht erklären lassen, die man als Ahnungen oder Intuition bezeichnen kann. Ich habe mit Menschen aus meiner Umgebung gesprochen und bin dabei erstaunlich oft auf derartige Phänomene gestoßen. Am treffendsten hat es wieder einmal William Shakespeare ausgedrückt, der seinem zweifelnden Hamlet die folgenden Worte in den Mund legt:
»Es gibt mehr Dinge im Himmel und in der Erde, Horatio,
als unsere Philosophie sich träumt.«
EIN SPAZIERGANG DURCH LONDON
Falls Sie London besuchen und Lust verspüren, einmal den Weg nachzugehen, den Tom Ashdown nach dem Abendessen im Savoy einschlägt – hier ist er:
Sie starten am Savoy Hotel – ob Sie vorher das Restaurant aufsuchen, bleibt Ihnen und Ihrem Geldbeutel überlassen.
Vom Hotel aus gehen Sie nach rechts The Strand entlang. Die Straße ist die alte Verbindungslinie zwischen der City of London und der City of Westminster und wird von sehenswerten Gebäuden wie Somerset House, den Royal Courts of Justice und der vom großen Sir Christopher Wren erbauten Kirche St. Clement Danes gesäumt. An einer Stelle teilen sich die Fahrbahnen und führen um die wie auf einer Insel gelegene Kirche St. Mary Le Strand herum. The Strand geht in die Fleet Street über, in der sich früher das Zeitungsviertel befand.
Royal
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