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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen.
    »Hast du Miss Emily gesagt, ich würde dir demnächst das Haarebürsten verbieten?«
    Nora wurde rot und schaute zu Boden.
    »Wie kommst du dazu, sie gegen mich aufzubringen? Damit tust du ihr nur weh. Angeblich willst du ihr Bestes, aber wenn du weiterhin versuchst, mich in ihren Augen schlechtzumachen, wird es ihr nur schaden.« Sie schwieg für einen Moment, ehe sie ihr letztes Ass aus dem Ärmel zog. »Nora, du solltest dir überlegen, wer von uns beiden hier dringender gebraucht wird. Gute Nacht.«
    Charlotte hatte den Türknauf schon in der Hand, als das Kindermädchen fragte: »Werden Sie es Sir Andrew sagen?«
    »Ich werde ihm gar nichts sagen«, erwiderte sie, ohne sich umzudrehen.
    Gleich darauf trat sie in den Flur hinaus und zog die Tür mit einem Ruck hinter sich zu.
    Sie holte tief Luft. Eigentlich war es nicht ihre Art, ruppig mit anderen Menschen umzugehen, doch sie musste sich in diesem Haushalt behaupten. Deshalb reckte sie die Schultern und stieg die Treppe hinunter. Vor Emilys Zimmer blieb sie kurz stehen – es war nichts zu hören. Sie wollte gerade zu der Tapetentür gehen, die in ihren Turm führte, als sie leise Stimmen von unten aus der Halle hörte. Sie blieb reglos stehen.
    Die Hausmädchen Millie und Susan trugen einen schweren Korb zwischen sich und setzten ihn gerade ab, um zu verschnaufen.
    »Ella sagt, Mrs. Evans hätte getan, als wenn nichts wäre. Da bei hat Wilkins so dagestanden« – eine Pause, als ahmte sie seinen Gesichtsausdruck nach, während das andere Mädchen kicherte – »und kaum ein Wort gesagt.«
    »Immer noch wegen der Sache mit dem gnädigen Herrn?«
    »Natürlich. Der hat vielleicht ein Donnerwetter losgelassen, ich hab’s durch die Hintertür gehört! Ganz kleinlaut war Wilkins danach. Und nur weil er ihr was vom Spazierengehen am Mole erzählt hat –«
    Sie nahmen den Korb wieder auf und verschwanden im Dienst botentrakt.
    Charlotte stieg nachdenklich in ihren Turm hinauf.
    In der Nacht begann es zu stürmen, daher hätte sie den Schrei fast überhört. Äste peitschten gegen die Fenster, und der Regen prasselte an die Scheiben, als wären es Hagelkörner. Charlotte wachte auf und schaute hinaus, konnte aber in der undurchdringlichen Finsternis nichts erkennen. Sie wickelte einen Schal um die Schultern und ging auf und ab, weil sie nicht schlaflos im Bett liegen wollte. Sie war ohnehin unruhig, weil ihr das Gespräch zwischen Millie und Susan nicht aus dem Kopf gegangen war.
    Also hatte Sir Andrew den Kutscher tatsächlich gescholten, doch sie verstand den Grund noch immer nicht. Wilkins hatte auf der Fahrt beiläufig erwähnt, man könne am Fluss schöne Spaziergänge unternehmen. Was sollte daran verwerflich sein?
    Als der Regen ein wenig abflaute und sie sich gerade wieder ins Bett legen wollte, hörte sie ein Geräusch. Sie öffnete die Zimmertür und horchte. Da war es wieder!
    Rasch eilte sie die Wendeltreppe hinunter und zu Emilys Zimmer. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen. Von drinnen erklang ein Schluchzen.
    Charlotte öffnete die Tür und schaltete das Gaslicht ein.
    Das Mädchen kauerte im Bett, die Augen fest geschlossen, die Decke um sich gezogen, als wollte es sich darin verstecken.
    Vorsichtig trat Charlotte näher, um Emily nicht zu erschrecken. »Was ist los?«, fragte sie sanft und setzte sich auf die Bettkante.
    Das Mädchen rührte sich nicht.
    Sie streckte die Hand aus und berührte Emilys Haar, das feucht und verschwitzt war. »Hast du schlecht geträumt?«
    Ein kaum sichtbares Nicken.
    Plötzlich merkte Charlotte, wie kalt es im Zimmer war. Ein Fensterflügel stand offen, die Vorhänge blähten sich im Wind. Sie wollte aufstehen, um es zu schließen; da schoss plötzlich eine kleine Hand unter der Decke hervor. »Nicht!«
    »Gut.« Sie streifte die Pantoffeln ab und setzte sich neben Emily, wobei sie sich gegen das Kopfende lehnte. Sanft strich sie dem Mädchen über die Haare, bis das Schluchzen leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Es wurde immer kälter im Zimmer, doch sie wagte nicht, sich zu entfernen, bis sich Emily ganz beruhigt hatte.
    »Wovon hast du denn geträumt?«
    Zuerst antwortete sie nicht. Dann, irgendwann, so leise, dass es kaum zu verstehen war: »Von Mama.«
    Charlotte spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Anfangs hatte niemand die Verstorbene erwähnt, nun fiel ihr Name zum zweiten Mal in kurzer Zeit. Ob die unselige Geschichte mit dem

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