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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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dem Portikus, das von einem Zwiebeltürmchen gekrönt wurde. Die vielen Sprossenfenster blickten wie strahlende Augen in das umliegende Grün.
    »Was für ein herrliches Schloss«, sagte Charlotte.
    »Fast wie im Märchen«, stimmte Emily ihr zu. Dann fügte sie leise hinzu: »Ich war mal dort. Von innen ist es fast genauso schön wie von außen.«
    »Ist dein Vater mit den Besitzern bekannt?«
    Das Mädchen nickte. »Aber damals war ich noch jünger.« Es klang, als wäre sie inzwischen eine alte Frau, und Charlotte musste ein Lächeln unterdrücken.
    »Vielleicht kann Papa Sie einmal mitnehmen, dann können Sie sich auch den Garten anschauen. Der ist wunderschön. Papa sammelt dort manchmal Pflanzen.«
    Wieder staunte Charlotte über die unterschiedlichen Facetten von Sir Andrews Wesen. So kalt und abweisend er bisweilen wirken mochte, schien er seinem Hobby doch mit echter Leidenschaft nachzugehen. Ein Mensch, der sich einer Sache mit solcher Hingabe widmete, konnte ihr nicht gänzlich unsympathisch sein.
    Wilkins machte kehrt, nachdem sie sich Polesden Lacey ausgiebig von Weitem angeschaut hatten, und fuhr in Richtung Osten weiter.
    »Das ist jetzt der North Downs Way, Miss, den ich Ihnen schon einmal gezeigt habe«, erklärte er unvermittelt. »Angeblich eine der ältesten Straßen in England.«
    »Reverend Morton hat mir erzählt, dass hier früher die Pilger, die nach Canterbury wollten, vorbeigekommen sind«, warf Emily stolz ein. »Und noch lange vorher sind die Jäger aus der Steinzeit hier gewesen.«
    »Im Frühjahr werden wir eine Wanderung unternehmen«, schlug Charlotte vor. »Dann packen wir Proviant und eine Decke ein und laufen, so weit wir kommen.«
    Emilys Augen leuchteten.
    Sie erreichten die Landstraße, auf der es rechts nach Dorking ging. Wilkins hielt auf der gegenüberliegenden Seite an, ohne jedoch vom Bock zu steigen. Dann deutete er mit der Peitsche geradeaus. »Dort, hinter dem Fluss und den Wäldern, liegt Box Hill.«
    »Ich bin mal mit Papa und dem Reverend da gewesen«, erzählte Emily, »man kann von da oben ganz weit sehen. Es ist wunderschön.« Ihre Augen blickten sehnsüchtig zu der Anhöhe hinüber.
    »Vielleicht können wir im Frühjahr gemeinsam hinaufsteigen«, sagte Charlotte und warf einen Blick auf den Mole, der zwischen den Bäumen dahinströmte. Dann schaute sie prüfend zu Wilkins, der auf dem Bock saß, die Peitsche quer über den Knien. »Gibt es hier eine Brücke?«
    Sie glaubte schon, er werde nicht antworten, so viel Zeit ließ er sich damit.
    »Ja, aber sie ist ein Stück entfernt. Da drüben gibt es Trittsteine. Doch die sind gefährlich, man kann abrutschen und …«
    Charlotte spürte, wie Emily an ihrer Seite zusammenfuhr, und schaute das Mädchen besorgt an. »Ist dir kalt?«
    Die Kleine schüttelte nur den Kopf.
    »Fahren Sie weiter, Wilkins.«
    Sie zog die Decke höher um Emilys Schultern, die wortlos neben ihr saß und zur Seite schaute, als wollte sie ihr Gesicht verbergen.
    Der Fluss, etwas war mit dem Fluss, dachte Charlotte. Emilys Vater hatte ihr streng untersagt, mit der Tochter dort entlangzugehen. Und nun der plötzliche Schreck, als Wilkins – was hatte Wilkins gleich gesagt?
    Man kann abrutschen und …
    Charlotte war froh, als die ersten Häuser von Dorking auftauchten. Sie hatte Wilkins die Teestube als Ziel genannt, und er fuhr geradewegs dorthin. Die Hauptstraße war ungepflastert, besaß aber befestigte Gehwege, auf denen man spazieren und die Auslagen der Geschäfte betrachten konnte. Die Straße wurde von Gaslaternen gesäumt und lud mit ihrem freundlichen Aussehen zum Verweilen ein.
    Manche Leute grüßten, als sie die Kalesche der Clayworths sahen, worauf sich Wilkins mit dem Peitschengriff an den Hut tippte. Emily schaute wieder nach vorn, die Röte war in ihre Wangen zurückgekehrt.
    »Dort drüben ist es!«, rief sie und deutete auf ein hübsches, hellblau gestrichenes Haus mit großen Erkerfenstern, über dessen Eingang ein Metallschild in Form einer Teekanne baumelte. Wilkins hielt an, stieg ab und half ihnen beim Aussteigen.
    »Wann soll ich Sie abholen, Miss?«, erkundigte er sich.
    Charlotte überlegte. »In einer Stunde. Nein, sagen wir eineinhalb Stunden, dann können Emily und ich noch ein bisschen die Schaufenster ansehen.«
    Er tippte sich an die Mütze, stieg auf den Bock und rollte davon. Charlotte und ihr Schützling betraten die Teestube, in der es nach frisch gebackenem Kuchen duftete. An den Wänden hingen

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