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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Charlotte sofort. »Sie ist lernwillig und fleißig und begreift rasch.« Sie verstummte zögernd bei dem Gedanken an Emilys allzu große Bravheit.
    »Ja?«
    »Ach, es ist nichts.«
    Charlotte meinte, einen Anflug von Argwohn in seinen Augen zu lesen, doch er fragte nicht weiter, sondern wünschte ihr eine gute Nacht und zog sich zum Rauchen zurück.
    Sie ging nach oben und klopfte an Emilys Zimmertür. Das Mädchen saß auf einem Stuhl, während Nora ihr die Haare auskämmte. »Nora, ich würde gern allein mit Emily sprechen.«
    Das Kindermädchen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Nur noch zwanzig Bürstenstriche, dann sind wir fertig.«
    »Ich möchte jetzt mit ihr sprechen.«
    Die Bürste glitt weiter durch Emilys dunkles Haar, das wie ein schimmernder Umhang über ihre Schultern fiel.
    »Die gnädige Frau hat immer gesagt, hundert Bürstenstriche müssen sein.«
    Es wurde totenstill im Zimmer. Nora erstarrte in der Bewegung, und Charlotte schaute sie durchdringend an. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft hatte jemand Emilys Mutter erwähnt. Ihr Blick wanderte zu dem Mädchen, das reglos auf dem Stuhl saß. Da es ihr den Rücken kehrte, konnte sie sein Gesicht nicht sehen.
    »Wenn sie es gesagt hat, will ich dich nicht daran hindern«, sagte Charlotte. »Ich komme gleich wieder.«
    Sie trat auf den Flur und schloss leise die Tür hinter sich. Dann ging sie fünf Minuten auf und ab, bevor sie das Zimmer erneut betrat. Emily lag schon im Bett, die Decke bis unter das Kinn hochgezogen, die Haare wie einen Strahlenkranz auf dem Kissen ausgebreitet. Nora räumte noch ihre Kleider fort und verließ dann rasch das Zimmer.
    Charlotte trat ans Bett und schaute Emily an. Ihre Miene verriet nichts.
    »Emily, du weißt doch, dass dein Vater am Samstag Gäste hat und ich Klavier spielen soll.«
    Das Mädchen nickte.
    »Ich habe mir überlegt, dass wir ein kleines Stück vierhändig spielen könnten. Traust du dir das zu?«
    Emily schaute sie unsicher an. »Das habe ich noch nie gemacht.«
    »Es ist nicht so schwer. Wir nehmen ein Stück, das du schon kennst, und ich wandle es ein bisschen ab. Leider ist es mir zu spät eingefallen, sonst hätten wir mehr Zeit zum Üben gehabt. Aber es wäre eine nette Überraschung für deinen Vater.«
    Sie sah, wie Emily mit sich kämpfte. Der Gedanke, dem Vater eine Freude zu bereiten, war verlockend, schien ihr aber auch Angst einzuflößen. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und fragte dann leise: »Und wenn ich mich verspiele?«
    »Das passiert auch den Besten. Er wird sich gewiss freuen, wenn du den Mut findest, vor Publikum zu spielen.«
    »Na gut. Aber Sie sitzen die ganze Zeit neben mir.«
    »Natürlich.« Sie wollte das Mädchen nicht vorführen; vielleicht aber konnte sie so die kühle Zurückhaltung, mit der Sir An drew seiner Tochter begegnete, ein wenig zum Schmelzen bringen.
    »Schlaf gut, Emily.«
    Charlotte wollte zur Tür gehen, schaute aber noch einmal über die Schulter und sah, dass Emily in ebendiesem Augenblick den Mund öffnete, um etwas zu sagen.
    »Fräulein Pauly?«
    »Ja?«
    »Werden Sie es Nora verbieten?«
    Jetzt drehte sich Charlotte ganz herum. »Was verbieten?«
    Emily schluckte. »Das Bürsten.«
    Charlotte sah sie verwundert an. »Warum sollte ich es ihr verbieten?«
    »Weil … Weil es von … Und wir sollen nicht …« Emily verstummte.
    Charlotte atmete tief durch. Sie konnte die Anspannung des Mädchens förmlich greifen und trat noch einmal ans Bett.
    »Deine Mutter hat es so gemacht, und Nora soll nichts tun, was dich an sie erinnert. Ist das richtig?«
    Emily wandte den Kopf zur Seite und nickte stumm.
    »Ich werde es deinem Vater nicht erzählen.« Sie merkte, wie mühsam die Kleine um Fassung rang.
    »Nora glaubt, Sie würden es ihm sagen.«
    Charlotte zwang sich, ruhig zu bleiben. »Sie meint es gut mit dir, aber sie kennt mich kaum und kann nicht wissen, wie ich mich verhalten werde. Verstehst du?«
    Emily nickte und drehte sich auf die Seite, sodass nur noch ihr dunkler Haarschopf zu sehen war.
    Charlotte sagte noch einmal Gute Nacht und ging leise zur Tür hinaus.
    Dann begab sie sich rasch zu Noras Zimmer, das sich im obersten Stock befand, zusammen mit den übrigen Dienstbotenzimmern. Auf ihr Klopfen hörte sie ein leises »Herein.«
    Das Kindermädchen schaute sie mit großen Augen an. »Ja, bitte?«
    »Ich muss mit dir sprechen.«
    »Ich wollte gerade zu Bett gehen, Miss.«
    »Es dauert nicht lange«, sagte Charlotte entschieden, schloss

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