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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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waren, um ihn damit zu behelligen. Das durfte er ihr nicht vorwerfen; er erwartete von ihr, dass sie die Erziehung selbstständig übernahm und ihn nicht mit Kleinigkeiten belästigte. Doch der Zustand, in dem er seine Tochter letzte Nacht vorgefunden hatte, bereitete ihm größte Sorgen.
    Er würde einen Arzt hinzuziehen müssen und hatte auch schon jemanden im Sinn. Doch wenn er das tat, würde es Fragen geben, unangenehme Fragen, die an Dinge rührten, die er am liebsten weiterhin verdrängen würde.
    Er teilte die Meinung der Gouvernante, nach der es sich nicht um einen gewöhnlichen Albtraum gehandelt hatte. Manches mochte sich Emily in ihrer Trauer ausgemalt haben: die Kälte des Wassers, den anfänglichen Kampf gegen das Ertrinken, den nachfolgenden Frieden.
    Zwei Dinge jedoch vermochte er sich nicht zu erklären: Emily wusste nichts von dem Schal. Und der Abschiedsbrief, den sie hinterlassen hatte, war längst im Kamin zu Asche zerfallen.
    Dr. Martin Fenwick hatte seine Praxis in der Harley Street, ein Zeichen seines Erfolgs. Wer in einem der eleganten georgianischen Häuser mit den schlichten Fassaden residierte, konnte sich seine Patienten nach Belieben aussuchen.
    Sir Andrew und er waren alte Schulfreunde, was die Tatsache erklärte, dass man den unangekündigten Besucher umgehend vorließ.
    Das Sprechzimmer, in das ihn die Empfangsdame führte, war mit dunklem Holz getäfelt und duftete angenehm nach Pfeifenrauch. Sir Andrew fragte sich, ob Fenwick es einfach gern behaglich hatte oder ob dieses einladende Ambiente dazu dienen sollte, seinen Patienten die Angst zu nehmen.
    Der Arzt mit dem schütteren, vorzeitig ergrauten Haar, das ihn älter als seinen Freund aussehen ließ, erhob sich aus seinem Sessel und kam Sir Andrew mit ausgestreckter Hand entgegen.
    »Clayworth, was führt dich her?« Er schaute ihn prüfend über die Brille hinweg an, die ihm auf die Spitze seiner gewaltigen Nase gerutscht war. »Niemand krank zu Hause, hoffe ich?«
    Nachdem sie sich gesetzt hatten und die Empfangsdame Tee gebracht hatte, stützte Fenwick die Ellbogen auf die Tischplatte und drückte die Fingerspitzen aneinander. »Was ist los? Raus mit der Sprache. Du bist doch nicht hergekommen, um über alte Zeiten zu plaudern.«
    »Nein, da hast du recht.« Sir Andrew zögerte kurz. »Es geht um Emily.«
    Sein Freund sah ihn bestürzt an. »Ist sie wieder krank? Du hattest doch geschrieben, ihr Zustand habe sich gebessert.«
    »Sicher, das hatte er auch. Körperlich geht es ihr gut, sie wächst und gedeiht.« Wieder entstand eine Pause. Das hier war schwieriger, als er gedacht hatte.
    »Was ist es dann?« Fenwick schenkte ihnen Tee ein und schob Sir Andrew die Tasse hin.
    Dieser begann zu erzählen und erwähnte zuerst die Vorkommnisse, von denen er durch Fräulein Pauly erfahren hatte.
    »Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Kind nach einem schweren persönlichen Verlust unter Albträumen leidet. So etwas muss die Seele verarbeiten. Es ist erst ein halbes Jahr her, dass – dass sie ihre Mutter verloren hat.«
    Um Zeit für die Antwort zu gewinnen, trank Sir Andrew von seinem Tee und verbrühte sich fast die Zunge. Sein Blick fiel auf einen Totenschädel, der hinter Fenwick im Regal stand. Er wandte sich ab; der Anblick war ihm unangenehm.
    Fenwick lehnte sich in seinem Sessel zurück und fragte: »Wie ist diese Gouvernante?«
    Sir Andrew war überrascht. »Sie macht einen ausgezeichneten Eindruck. Emily scheint viel bei ihr zu lernen und kommt gut mit ihr aus. Erst kürzlich haben die beiden vierhändig Klavier gespielt, als ich Gäste hatte. Sie ist offen und an allem interessiert, dabei aber höflich und zuvorkommend. Ich kann mich nicht über sie beklagen.«
    Fenwick schwieg und spielte mit einer Schreibfeder, die er vom Tisch genommen hatte.
    »Was ist los, Fenwick? Warum sagst du nichts?«, fragte Sir Andrew ungeduldig.
    »Du siehst aus, als erwartetest du einen Rat von mir.«
    »Genau, einen ärztlichen Rat.«
    »Ich bin Internist, Clayworth. Mit Kinderseelen kenne ich mich nicht aus.«
    »Du hast sie früher schon untersucht.«
    »Und keine ernste Erkrankung festgestellt, wie du weißt. Sie war zart und empfindlich, und diese Schwäche hat sich ausgewachsen. Das ist doch ein Grund zur Freude.«
    Sir Andrew strich sich nachdenklich übers Kinn. »Sicher.«
    »Aber?«
    »Es lässt mir keine Ruhe. Sie hat nicht einfach schlecht geträumt.«
    »Hast du schon einmal in Erwägung gezogen, dass sie schlafwandeln könnte?

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