Der verbotene Garten
Viertel, von Misstrauen durchdrungen. Die Sprache ihrer Heimat war hier nicht willkommen. A-me-ri-ka hatte sich als falscher Freund erwiesen.
Mama hatte ihre Muttersprache noch im Kopf, weigerte sich aber, sie zu gebrauchen. Manchmal flüsterte sie einem Kleid oder Rock beim Flicken fremde Worte zu. Es klang sanft und eindringlich, als würde sie ein Geheimnis preisgeben.
»Bring mir doch auch bei, so zu sprechen«, hatte ich eines Abends gesagt, während sie nähte.
»Nein«, hatte sie gesagt und den Faden mit den Zähnen abgebissen.
»Aber fehlt dir nicht jemand zum Reden?«, hatte ich gefragt.
»Lass mir meine Einsamkeit, Moth«, hatte sie erwidert. »Und du kennst schon genügend Worte für Kummer.«
Als die Fremde Anstalten machte, die Tür zu schlieÃen, trat ich auf sie zu. »Bitte«, sagte ich und wies auf Mamas Schild, das noch immer im Fenster stand. »Wissen Sie, wo sie ist?«
»Zigeunerin von Chrystie Street«, sagte die fremde Frau und nickte.
Hinter mir rumpelte Nestors Kutsche. Er pfiff dem Pferd zu, damit es vorwärtstrabte, und fuhr weiter. Er hatte hoffentlich erkannt, dass etwas hier nicht stimmte, und würde noch ein wenig länger seine Kreise ziehen.
»Die Zigeunerin ist meine Mutter«, erklärte ich. »Wo ist sie?«
Die Frau schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. Sie wies auf das Schild, dann auf sich selbst und sagte: »Wahrsagerin â das bin ich.«
Aus dem Dunkel des Hinterzimmers erklang eine Männerstimme. »Lottie«, grummelte jemand, »komm ins Bett!«
Die fremde Frau schob mich zurück auf die Stufen. »Mama nicht hier«, erklärte sie mit Nachdruck und schlug die Tür zu.
Ich schaute mich suchend um. Vielleicht hatte ich ja vergessen, wo wir gewohnt hatten. Vielleicht hatte Mama recht gehabt, und es war tatsächlich gefährlich, sein Haar an andere zu verlieren.
Ich stellte mich an den StraÃenrand und wartete so lange auf Nestor, wie es mir, allein und im Dunkeln, sicher vorkam. Doch er war fort. Bestimmt hatte er die Frau für meine Mutter gehalten und geglaubt, das Wiedersehen habe ein gutes Ende genommen. Die StraÃenlaterne bei unserem Haus erkannte ich gleich â zwei der Glasscheiben waren gesprungen, auch der Pfosten neigte sich noch, als wäre er zu müde, sich aufrecht zu halten. In dem schwachen Lichtstrahl zeigte sich die Chrystie Street so, wie sie immer war â düster, hungrig, darauf lauernd, die Schwachen zu verschlingen.
Ich nahm mir ein Stück Ziegel von einem Schutthaufen und verbarg es in meiner Hand.
Kopf hoch, Augen geradeaus, rasch gehen, nicht rennen.
»Sie hat uns verlassen, Liebes«, erklärte Mrs. Riordan, nachdem sie mir die Tür geöffnet hatte. »Hast du denn keine Nachricht erhalten?«
»Nein.« Ich sank auf den wackligen Hocker, den sie mir anbot. Mir kamen die Todesanzeigen der Heerscharen von Mittellosen in den Sinn. Bisher hat niemand Anspruch auf den Leichnam erhoben, die Tote wird daher wohl auf dem Armenfriedhof beigesetzt. Die letzte Seite des Evening Star stand voller solcher Nachrichten. »War sie krank? Hat man ihr etwas angetan?« Ich versuchte den Gedanken beiseitezuschieben, Mama könnte ein entsetzliches Ende gefunden haben.
Mrs. Riordan schüttelte den Kopf. »Oh, aber nein, mein liebes Kind«, seufzte sie. »Das hatte ich nicht gemeint. Sie ist einfach vor einer Weile fortgezogen, und ich weià nicht, wohin.«
Nach meinem Weggang war Mama wohl eine Woche lang durch die Gegend stolziert und hatte überall damit geprahlt, eine elegante Dame habe mich in ihr Haus geholt, ein Haus so groÃ, dass niemand die Zahl der Zimmer kannte. Und dann war Mama verschwunden. Als Mr. Cowan vorbeigekommen war, hatte die Wohnung schon leergestanden, und bis auf eine alte Pfanne auf dem rostigen Ofen war dort nichts zu holen. Mama hatte offensichtlich geplant zu gehen.
»Mr. Cowan war nicht gerade glücklich, wie du dir vorstellen kannst. Angeblich hat deine Mutter ihn bis aufs letzte Hemd beraubt und seit Juli keine Miete mehr gezahlt. Sieh bloà zu, dass du ihm nicht begegnest. Wenn er dich zu fassen kriegt, wird er sich von dir holen, was sie ihm schuldet.«
Mrs. Riordan betrachtete mich voller Mitleid, dann fragte sie: »Kannst du irgendwo unterschlüpfen?«
»Nein«, erwiderte ich. Ich hatte niemanden mehr auf der Welt, auÃer mir.
»Dann bleibst
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