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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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Käfigtür stand offen, sodass die Elster nach Belieben ein- und ausfliegen konnte. Sie neigte den Kopf und sah mich einen Augenblick lang an, dann wandte sie sich ab und putzte sich. Ihre langen schwarzen Federn erinnerten mich an Mrs. Wentworth und den dunklen Umhang, der sie umwehte, als sie mich Mama weggenommen hatte. Mit einem Mal bekam ich Angst: Bestimmt kannten sich die wohlhabenden Damen New Yorks untereinander und so auch Mrs. Birnbaum und Mrs. Wentworth – wäre Mrs. Birnbaum nicht versucht, mich Mrs. Wentworth erneut auszuliefern?
    Da flatterte der Vogel mit einem leisen Gurren zu Mrs. Birnbaum. Er ließ sich auf der Rückenlehne nieder, nahm ihr die Brosche mit dem Schnabel aus der Hand, hüpfte über den Tisch und ließ den Schmuck in den Eimer mit der Aufschrift »Herr« fallen. Die Elster nickte wieder, pfiff und gab dann etwas von sich, das wie eine Frage klang. »Cake? Cake?« Dann wiederholte der Vogel das Wort so deutlich, als würde ein Baby seine Mutter anbetteln. »Caaake?«
    Mrs. Birnbaum ermahnte den Vogel: »Gleich, Jenny Lind, gleich.«
    Bei der Erwähnung von Essen knurrte mein Magen so laut, dass Mrs. Birnbaum, ihr Helfer und der Vogel es sicher hörten.
    Der junge Mann las weiter aus den Suchanzeigen vor – ein herzförmiger Anhänger, ein Rubinring, einige Taschenuhren. Wie durch Zauberhand spürte Mrs. Birnbaum bei seinen Worten jedes der vermissten Stücke auf, befand es entweder der gebotenen Belohnung oder Mr. Birnbaums Eimer wert. Die »gefundenen« Stücke wurden in kleine Schachteln gelegt und beschriftet, damit sie »umgehend« wieder an ihre Besitzer gingen.
    $100 BELOHNUNG . Freitag bei Spaziergang
am St. Mark’s Place verloren –
goldener Herrenring in Gestalt eines
Löwenkopfs mit Rubinaugen.
Bei Rückgabe Belohnung ohne Nachfragen.
Washington Place Nr. 75.
    Hinter uns erklangen Stimmen an der Tür. Als ich mich umdrehte, sprach Mr. Birnbaum mit zwei Burschen, die wie ganz gewöhnliche Straßenjungen wirkten, die Hosen am Saum zerschlissen, die abgenutzten Soldatenkappen ins Gesicht gezogen. Mr. Birnbaum plauderte eine Weile freundlich mit ihnen und lud sie dann in den Keller ein.
    Â»Ich glaube, Barber Jim ist mit ein paar anderen Kerlen unten. Wollt ihr euch dazugesellen?«
    Die Jungen antworteten im Chor: »Oh ja, Sir, sehr gern.« Dann lüfteten sie ihre Mützen und verschwanden die Treppe hinunter.
    Â»Caaake!«, verlangte der Vogel währenddessen.
    Mrs. Birnbaum streckte die Hand aus. »Ach, meine liebe Jenny, ich habe dich nicht vergessen. Komm her.«
    Daraufhin hüpfte die Elster quer über den Tisch, Mrs. Birnbaum direkt in den Schoß. Kaum hatte diese das erste weiche Stückchen Kuchen aus der Tasche geholt, da pickte es ihr der Vogel auch schon aus der Hand. Ich roch den Kuchen bis zu mir. Beim Duft der süßen Kirschen fiel mir Mamas leere Kirschwasserflasche ein, die ich mir früher ab und zu aus dem Schrank stibitzt und mit unter das Laken genommen hatte. Dort hatte ich sie aufgeschraubt und daran gerochen, bis ich den Likör beinahe schmecken konnte.
    Mrs. Birnbaum streichelte das Federkleid des Vogels und gab ihm einen Kuss auf den Kopf. Der Vogel sah verliebt zu ihr auf und gurrte. Dann nahm ihn Mrs. Birnbaum auf die Hand und setzte ihn wieder auf die Lehne.
    Â»Dann lassen Sie mal sehen«, sagte Mrs. Birnbaum schließlich und streckte mir die Hand entgegen. »Zeigen Sie, was Sie haben.«
    Ich zog den Armreif vom Gelenk, wobei ich mir inständig wünschte, ich könnte ihn behalten. Natürlich hatte er nie für mich sein sollen, doch das verringerte mein Verlangen, ihn weich und warm an meiner Haut zu spüren, nicht.
    Mrs. Birnbaums Augen weiteten sich, als sie den Reif auf eine Waage legte. Einen Finger am Mund, als ob sie so besser denken könnte, schaute sie auf die Gewichte. Dann nahm sie den Armreif wieder in die Hand, drehte ihn hin und her und sah ihn sich von allen Seiten an.
    Â»Noch mehr?«, fragte sie und schob den Armreif über Hand und Arm.
    Was würde sie mir wohl für den Fächer geben? Er lag an meiner Brust, ich spürte ihn bei jedem Atemzug. Mrs. Birnbaum hätte ihn sicher gern genommen, doch ich entschied mich, ihn ihr nicht zu zeigen. Er würde längst nicht so viel wie der Armreif bringen, und ich wollte eine Erinnerung daran, dass Mrs. Wentworth nicht gewonnen hatte. Sollte ich

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