Der verbotene Garten
Gefühl, schon etwas falsch zu machen, weil ich nur atmete. Ich hatte noch nie eine Frau gesehen, nicht Mama, nicht Mrs. Wentworth, nicht einmal eine von Miss Clattermores Ladys, die sich mit ihrer Präsenz messen konnte. Sie und die Falten ihres Kleids füllten den Stuhl auf eine Weise aus, dass man, hätte es die hohe geschnitzte Rückenlehne nicht gegeben, glauben konnte, sie würde schweben. Die zarten, schwarzen Löckchen an den Schläfen lagen perfekt geglättet vor den Wangen und zeigten der Welt, dass diese Frau nichts und niemanden duldete, wenn es ihr nicht zusagte.
Neben ihr saà ein junger Mann, dessen Anzug nicht recht passte. Der Hemdkragen war zu locker, die Ãrmel seines Jacketts endeten zu früh. Sein Ausdruck war sehr ernst, obwohl seine unterschiedlich hohen Ohren ausgesprochen komisch wirkten. Sein honigfarbenes Haar war eingeölt, seine Kleidung dennoch ordentlich und sauber â nirgends sah ich Risse oder blanke Stellen. Hinter ihm, an einem Haken, hing eine braune Wollkappe mit kurzer Krempe. Das sprach für Korrektheit. Dies war kein Bursche aus der Chrystie Street. Dies war ein junger Mann, der durchaus Sorgfalt walten lieà und es nicht gestatten würde, dass seine Kappe auf den Boden fiel.
»Setzen Sie sich bitte«, sagte Mrs. Birnbaum, schloss ihr Buch und schob es fort. »Ich kümmere mich gleich um Sie.«
Ich setzte mich auf einen Hocker an den Tisch und wartete.
Ãberall stapelte sich Schmuck â Uhren, Hutnadeln, Ketten, Ringe, Broschen. Zur Linken von Mrs. Birnbaum stand ein Eimerchen mit der Aufschrift »Herr«, zu ihrer Rechten mit der Aufschrift »Frau«.
Der junge Mann schob sich mit der flachen Hand eine Strähne aus der Stirn. Seine langen, schlanken Finger gruben Furchen in sein Haar. Als er zu mir sah, berührte ich unwillkürlich mein Gesicht, beschämt wegen meiner Blutergüsse und der schrecklichen Frisur. Ich bot sicher den Anblick einer traurigen Lumpensammlerin.
»Zwanzig Dollar Belohnung«, las er laut aus einer Zeitung vor. »Hochzeitsnadel verloren, Montagmorgen in der StraÃenbahn auf der Fourth Avenue. Goldener Halbmond mit Biene und Blume aus blauem Stein. Bei Rückgabe Belohnung und keine Nachfragen. Irving Place Nr. 14.«
Mrs. Birnbaum schaufelte mit beiden Händen einen Haufen Schmuck in ihre Richtung und durchwühlte ihn mit dicken Fingern: zwei Uhren (eine mit, eine ohne Kette), vier Anstecknadeln und ein entzückender, goldener kleiner Ring mit der Initiale L , der aussah, als würde er auf meinen Finger passen. Mit so einem Ring hätte meine Hand zart und zierlich gewirkt, und ich hätte behaupten können, mein Name sei Lucy oder Laura, Lydia oder Lily.
Mrs. Birnbaum suchte, bis sie die beschriebene Brosche fand. Dann klappte sie sich eine Speziallinse, die ein Metallband an ihrer Stirn hielt, über das linke Auge und stellte so lange an der Linse herum, bis sie scharf sah. Das wirkte ziemlich sonderlich, als ob ein Auge menschlich und das andere von einem Fisch wäre. Mrs. Birnbaum hielt den Schmuck ins Licht, schaute durch die Linse und summte vor sich hin. Mir machte das Warten nichts aus, mochte es auch noch so lange dauern. Mir gefiel es in der Nähe dieses hübschen kleinen Rings und dieser imposanten, fischäugigen Frau, die zu Gold und Silber sang.
Mrs. Birnbaums Augen wurden groà und weich, und zum ersten Mal verstand ich, warum Mr. Birnbaum sie lieben musste. Ihr Blick war so hingebungsvoll, als hätte sie die Macht, die Nadel allein durch die Liebkosung ihrer Augen noch kostbarer zu machen. »Blütenblätter aus Saphiren, in der Mitte eine Perle«, sagte sie. »Herrlich.«
Sie drehte die Brosche um, dann noch einmal, dann richtete sie die Linse wieder aus. » Vergiss mein nicht «, las sie flüsternd die Gravur auf der Rückseite vor. »Wie herzig.« Sie schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Aber ich fürchte, zwanzig Dollar reichen nicht. Die geht nicht an ihren Besitzer zurück, die ist für Mr. Birnbaum.« Sie zog eine Augenbraue hoch, lächelte dem jungen Mann zu und ergänzte: »Man muss immer die Summe der Teile im Auge behalten.«
Er nickte, ein entschlossener Zug um den Mund.
Ich schaute mich derweil ein wenig um. Ein groÃer Bambus-Vogelkäfig stand in einer Ecke, darin saà eine Elster. Auch sie schien bei Mrs. Birnbaums Worten zustimmend zu nicken. Die
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