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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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einmal dringend Geld brauchen, war der Fächer da.
    Â»Nein, Ma’am.«
    Â»Haben Sie noch Zugang zu dem Haus, aus dem das stammt?«, fragte sie und fuhr mit den Fingern über den Armreif.
    Â»Nein, Ma’am.«
    Â»Bedauerlich.«
    Sie beugte sich zu dem jungen Mann und flüsterte ihm ins Ohr. Er nickte und öffnete eine hölzerne Kiste, entnahm ihr einige Münzen und gab sie an Mrs. Birnbaum, die sie schließlich mir gab.
    Â»Für Ihre Mühen«, sagte sie und entblößte beim Lächeln einen Goldzahn.
    Â»Danke«, sagte ich und schaute ungläubig auf meine Hand.
    Â»Wenn es Ihnen lieber ist, nehme ich was zurück«, sagte sie und streckte ihre fetten Finger nach einem Zehn-Cent-Stück aus. »Habe ich Ihnen zu viel gegeben?«
    Ich schloss die Hand um die Münzen und steckte sie in meine Tasche. »Nein, Ma’am.« Ich wusste nicht zu sagen, ob ihr die Worte ernst waren.
    Ãœber meine verwirrte Miene lachte sie. Der Vogel lachte lange heiser mit und verlangte dann nach Kuchen.
    Â»Mit Mrs. Birnbaum wird nicht über Preis und Lohn gestritten«, hatte Nestor gesagt. »Bitten Sie um nichts, und wenn sie Ihnen Ihren Anteil gibt, wagen Sie es ja nicht, nachzuzählen. Sie trauen ihr, und sie kann Ihnen trauen.«
    Ich glaubte, die Sache wäre damit beendet, und wollte aufstehen. Doch bevor ich mich erheben konnte, hielt sie mich mit einer Geste auf. »Gehen Sie noch nicht.« Sie schob ihren Stuhl zurück und verließ den Raum.
    Mit zwei Schals in den Händen kehrte sie wieder. Der eine war zart und wunderschön, aus gemusterter Seide mit Spitzenrand. Der andere bestand aus Wolle und wirkte, obwohl das Muster an einer Stelle verblichen war, insgesamt robust. Er war lang und dick und würde an kalten Herbstabenden eine kuschelige Decke abgeben.
    Â»Welchen der beiden möchten Sie?«
    Â»Oh, das kann ich mir nicht leisten, danke sehr«, sagte ich.
    Sie grinste wieder über mich. »Soll ich Ihnen den Rücken zudrehen, damit Sie ihn mir stehlen, kleine Diebin?«
    Ich streckte die Hand nach dem Wollschal aus. »Diesen hier.«
    Â»Eine kluge Entscheidung«, sagte sie und nickte zustimmend.
    Â»Danke, Ma’am.«
    Â»Ich danke Ihnen«, sagte sie und ließ den Reif um ihren Arm kreisen. »Kommen Sie ja wieder, falls Sie so etwas noch einmal finden.«
    Nestor hatte mir die Birnbaums als die besten Hehler der Stadt beschrieben. Sie waren durch ihre Öffentlichkeit geschützt und profitierten von einer schon lange währenden Freundschaft mit der Polizei. »Die Bullen sind hinter dem heißblütigen, mörderischen Pack her – hinter den Ganoven, die den Gang der Dinge in dieser Stadt gefährden. Ohne Leute wie die Birnbaums sähe es in New York viel schlimmer aus. Solche Leute wissen nämlich um den Wert angemessenen Verhaltens.«
    Als ich aufbrach, kam Mr. Birnbaum mit einer jungen Frau herein. Sie schlug einen Mantel auf, in dessen Futter große tiefe Taschen saßen. Aus einer zog sie einen silbernen Kamm hervor. »Und da ist noch mehr zu holen«, prahlte sie und zwinkerte Mr. Birnbaum aufreizend zu.
    Ich nickte grüßend im Vorübergehen. Draußen schob ich eine Hand in meine Tasche und fühlte, was mein Anteil an Nestors Plan betrug: vier Vierteldollar, drei Nickel und ein Zehn-Cent-Stück – klein und rund und mein.



Würde man die vagabundierenden und vernachlässigten Kinder dieser Stadt zu Paaren aufstellen, mit einem Meter Abstand, so ergäbe dies eine acht Meilen lange Prozession, vom Castle Garden bis zum Harlem Meer, oder von der Wall Street bis zum Fort Washington. Nahezu dreißigtausend kleine Seelen.
    Dr. Sadie Fonda, aus: Jahresbericht des
Spitals der Stadt New York für
Bedürftige Frauen und Kinder , 1871
    XI
    F ür fünf Cent bekäme ich eine Pritsche in einem überfüllten Keller, für sechs Cent eine Übernachtung im Christlichen Mädchenheim am St. Mark’s Place, für weitere vier Cent dort einen Teller Schweinefleisch mit Bohnen. Ich hätte die vier Cent gern ausgegeben, aber dann hätte ich mir beim Kauen anhören müssen, was für eine liederliche Sünderin ich sei.
    Die Leiterinnen dieser Heime betrachteten jedes Mädchen, das ihnen über den Weg lief, als Waise, und es war ihnen gleich, ob das stimmte. Denn wenn ein Mädchen, angeblich, keine Familie mehr hatte, hatten sie einen

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