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Der verbotene Garten

Der verbotene Garten

Titel: Der verbotene Garten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ami McKay
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Mrs. Riordan. Soldaten, die im Krieg versehrt worden waren. Den meisten fehlte mindestens ein Körperteil. Mr. Dillibough hatte das rechte Bein unterhalb des Knies verloren. Zwar hatte er von der Regierung eine hölzerne Prothese erhalten, die aber ließ er zu Hause, wenn er auf die Bowery kam. »Leere Hosenbeine bringen mehr«, lautete sein Credo.
    Leih-Maggie gab jungen Müttern Geld, um sich deren Kinder zu borgen. Mit einem Baby in den Armen erregte sie schon reichlich Mitleid, doppelt so viel jedoch, wenn ein zweites Kind an ihrer Seite krabbelte.
    Mr. Tomas spielte die Jammergestalt. Er schlüpfte bei Nacht aus den Gassen, ein dunkles Tuch vor dem Gesicht, und flüsterte heiser: »Kommen Sie mir nicht zu nahe, ich habe Lepra.« Dann bat er um etwas Kleingeld. »Werfen Sie es auf den Bürgersteig. Gott segne Sie.«
    Meine Lieblingsbettlerin aber war Old Beckie. Sie hatte immer gute Laune – und kannte die Symptome einer jeden Krankheit. Schlagartig überkam es sie, mitten auf der Straße. Sie wand sich vor Schmerz, hielt sich den Kopf oder krallte die Hände in den Magen. Um Geld bat sie niemals. Sie wollte in das nächste Krankenhaus gebracht werden (am liebsten mit den raschen Pferden einer Arztkutsche) und eine Nacht lang Essen und Obdach und Zuwendung genießen. Ich hätte ihr am liebsten jedes Mal laut applaudiert.
    Ich versuchte mich zunächst im Stibitzen und fasste in die Tasche eines Herrn, weil ich glaubte, der geglückte Diebstahl bei Mrs. Wentworth spräche für eine natürliche Neigung zum Stehlen. Doch gleich beim ersten Mal wurde ich ertappt. Der Mann, dessen Geldklammer ich mir gegriffen hatte, packte mich am Arm und rief aus vollem Halse: »Hilfe! Überfall!« In Panik ließ ich das Geld fallen, wand mich aus seinen Händen und rannte davon. Zu meinem Glück war kein Polizist in der Nähe, doch seine Wut hatte mir einen solchen Schrecken eingejagt, dass ich mir schwor, es niemals wieder zu probieren.
    Daraufhin machte ich aus mir das Knabber-Mädchen, ein, in meinen Augen, gewiefter Schachzug, denn ich musste weder täuschen noch lügen. Ich musste bloß meinen Hunger zur Schau stellen.
    Und so kaufte ich mir jeden Vormittag einen Apfel an Mrs. Tobins Gemüsewagen, setzte mich irgendwo auf eine Treppe und aß das Obst, bis auf das Kerngehäuse. Um Punkt zwölf Uhr nahm ich meinen Platz vor Mueller’s Bäckerei ein. Ich krallte mich an den Schal, den mir Mrs. Birnbaum gegeben hatte, zog eine traurige Miene und lutschte und knabberte an meinem schön gebräunten Apfelrest herum. Manche Kunden und Passanten erbarmten sich meiner und drückten mir einen Penny oder Nickel in die Hand.
    Einmal sah ich den jungen Mann mit den schiefen Ohren, der bei Mrs. Birnbaum gewesen war. Er bewegte sich geschickt durch die Menge und lüftete hin und wieder elegant den Hut. Einem Herrn, der sich zu mir beugte und mir einen Penny gab, stahl er die Uhr aus der Tasche. Seine Finger schlüpften unter die Weste des Mannes, dorthin, wo die Uhrkette schimmerte, und glitten schlängelnd wieder hervor. Der junge Mann sah mich an, zwinkerte mir zu, dann löste er sich wie ein Geist in Luft auf.
    Alle zwei Tage (um Punkt eins, wenn man der Uhr in Mr. Muellers Schaufenster glauben konnte) kamen zwei sehr selbstbewusste Mädchen in die Bäckerei und holten eine große Schachtel ab. Und jedes Mal rief der Schuhputzer an der Ecke: »Hey, ihr beiden, wozu die Eile?« Doch sie ließen sich niemals dazu herab, ihn auch nur eines Blicks zu würdigen. Sie interessierten sich weit mehr für die Herren in der Austernbar, zwei Türen neben der Bäckerei.
    Die Mädchen trugen das Haar hoch auf dem Kopf getürmt, nur hier und da schauten einige Löckchen unter dem Hut hervor, damit sie wissend und dennoch unschuldig wirkten. Der Schnitt ihrer Kleider war fraulich, aber ihre Gesichter zeigten noch die sommersprossige Reinheit der Kindheit. Wenn sie vorbeigingen und ich ihre rüschenbesetzten Röcke bewunderte, hörte ich im Geiste Nestors Stimme: Sie haben doch hoffentlich mehr Achtung vor sich selbst, und auch vor mir …
    Hatte er gewusst, wie wenig Mrs. Birnbaum mir geben, wie flüchtig das Geld sein würde? Diese beiden Mädchen hatten hübsche Kleider, und, da war ich sicher, weiche Betten. Sie hatten zweifellos noch mehr Achtung vor sich selbst.
    Oft paradierten die Damen aus dem

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